Vor 70 Jahren: Die Luftschlacht vom 27. September 1944 über Thüringen und Hessen - Teil 5Von Eberhard Hälbig

Während man die Trümmer um die "Tiroler Platte" den Flügeln und mittlerem Rumpf zuordnen kann, sind Fundstücke vom  "Großen Herzberg" bei Lauchröden, zum Beispiel ein Hebel zur Betätigung des Bombenabwurfmechanismus, Reste von Navigationsinstrumenten und des Norden Bomb Sight Gerätes eindeutig aus der Rumpfspitze oder Cockpit der B-24. Robert D. Johnson wurde an anderer Stelle gefunden, vermutlich ohne Fallschirm, was niemanden verwunderte.

Ralph H. Pearson gab bei einer Befragung zu Protokoll: Ich weiß von mindestens einer Mission, dass er (Johnson) ohne Fallschirm flog und verschiedene Male hatte er sein Gurtzeug nicht angelegt. Er trug selten seine Flakweste und wusste meistens nicht, wo sich sein  Fallschirm befand. Er hatte absolut keine Nerven und die Bewegung, die ich kurz vor meinem Absprung  im Flugzeug undeutlich wahrnahm war zweifellos Bob.

Viele Flieger starben aber auch, weil es oft an Bord der Bomber einen Mix von amerikanischen und englischen Ausrüstungsgegenständen gab. Auch im Flugzeug von Ralph Pearson lässt sich das durch Fundstücke belegen.

Luftschlacht  Verschluss eines englischen Sutton Harness, eines Sicherheitsgurtes, der nicht mit amerikanischer Fallschirmtechnik harmonisierte.

Das endgültige Schicksal dieser drei Flieger beschreibt das Dokument FF-4-93 vom U.S. Military Cemetery in Neuville, Belgien. Dort steht: Fall Beschreibung zur Identifizierung des unbekannten Toten Nummer X-6939. Dieser wurde abschließend als Stearns, Arthur E. 2nd Lt. O-711502 identifiziert. Hintergrund: A/C 44-10497 (Air Craft) stürzte am 27.09.1944 in der Gemarkung von Lauchröden, Deutschland ab. Die Besatzung bestand aus 9 Mann von denen 6 den Absturz überlebten und 3 ums Leben kamen.

Luftschlacht Henry Henrikson fiel in der Luftschlacht über Thüringen.

F/O Henry J. Henrikson wurde in einem Massengrab mit 23 Toten gefunden und konnte an Hand von zwei Erkennungsmarken und einem Wäschezeichen, identifiziert werden. (Dieses Massengrab war auf dem sogenannte „Judenfriedhof“, der sich außerhalb des Ortes Lauchröden in der Nähe der Rimbachs Mühle befand).

Der Unbekannte X-6943 konnte als T/Sgt. Robert D. Johnson durch eine noch vorhandene Buchstabenfolge in seiner Kleidung und durch einen Abgleich seiner Gebissaufzeichnung  identifiziert werden.

Der Unbekannte X-6939 ist ebenfalls durch einen Vergleich seiner Gebissaufzeichnung sowie Resten von Offiziersbekleidung mit einem Abzeichen eines 2nd Lt. und einem Navigator Abzeichen eindeutig als 2nd Lt. Arthur E. Stearns identifiziert worden.  Das Schicksal der Besatzung von Flugzeug 44-10497 ist somit abschließend geklärt und der Fall wird geschlossen.

Nicht ganz, denn sie werden ein weiteres Mal exhumiert und in den Jahren 1948 -1949 in ihre Heimat zu ihren Familien zurückgebracht, wo sie dann endlich ihre letzte Ruhe fanden.

Diese letzte Ruhe war manchen Überlebenden nicht vergönnt.

Nachdem sie die traumatischen Ereignisse der Luftschlacht und des Absturzes aus 7000 Meter Höhe mit anschließender Fallschirmlandung gerade kurze Zeit hinter sich hatten, begann die nächste Tortur. Einige von ihnen wurden gezwungen ihre toten Kameraden oder das, was von ihnen übrig war, zu bergen. Was sie sahen muss grauenhaft gewesen sein und einige litten ihr ganzes Leben darunter: zum Beispiel Carl Sollien. Er musste zusammen mit George Collar und George Eppley  in der Ebene von Lauchröden dieses grausige Werk ausführen. 

Collar und Eppley waren an diesem Tag im Flugzeug von Lt. Schaen, das in der Kohlbach bei Gerstungen abgestürzt ist und George Collar war gerade einem Lynchmord entgangen. Sein Bericht: „Corman Bean (der Navigator) hatte meinen Fallschirm schon in der Hand (nachdem das Signal zum Ausstieg ertönt war) und half mir diesen anzulegen. Dann öffneten wir die Klappe zum vorderen Fahrwerk und sprangen ins Freie. „Die Schlacht um sie herum war noch in vollem Gange. Dann der Ruck, als sich der Schirm öffnete, wobei auch er seine Stiefel verlor. Etwas weiter weg sah er seinen Kameraden Bean, der ihm zuwinkte. Das nächste Wiedersehen der beiden sollte erst nach dem Krieg stattfinden. „Schwärme von FW-190 umkreisten mich von überall her und schossen unsere B-24 Flugzeuge ab.  Klappen von  Bombenschächten drifteten an mir vorüber. „Er konnte zwischen 30 und 40 Fallschirme sehen, die wie er einer unbekannten Zukunft entgegen schwebten. Schließlich kam er aus den Wolken heraus und hatte endlich freie Sicht. „Unter mir sah ich ein wunderschönes Tal mit bewaldeten Hügeln. Auf einem war die Ruine einer alten Burg (Brandenburg) zu sehen und auch drei Wracks von B-24 Bombern konnte ich erkennen."

Er sah einen Mann auf einem Fahrrad, der seine Landung beobachtete und war froh, dass er die letzten 10 Minuten unverletzt überstanden hatte. Er ahnte nicht, dass seine Probleme erst beginnen sollten. Am Boden wurde er von drei Personen gefangen genommen. Sie zwangen ihn seine schwere Ausrüstung aufzunehmen und ohne Stiefel ins Dorf zu marschieren. Das ganze Dorf hatte sich versammelt um den „Terrorflieger“ zu sehen und Collar konnte ihren Hass spüren. Als ein Jugendlicher begann, ihn herumzustoßen, eskalierte die Situation. Im Hof des Hauses des Bürgermeisters zwangen sie ihn seine Hose herabzulassen und seine Arme auszustrecken, um ihn durchsuchen zu können.

„Als ich dort mit meinen langen Unterhosen stand, kam ein hässlicher Bauer mit großen Fäusten und schlug mich zwischen die Augen, wobei er meine Nase brach. Er versuchte noch einen Treffer zu landen, aber ich duckte mich und versuchte meine Hose wieder hoch zu ziehen. Ich glaubte mit Gewissheit, dass sie alle über mich hergefallen wären, falls ich gestürzt und zu Boden gegangen wäre. Er ließ plötzlich von mir ab, um einen großen Spaten in seine Hände zu bekommen. Er schwang ihn mit voller Wucht in meine Richtung und ich  hörte das Rauschen in der Luft über meinem Kopf. Ich kämpfte um mein Leben. Als wir beide um den Spaten rangen, kam ein alter Mann, grün gekleidet, mit einem Walrossbart dazu und begann mir zu helfen."

„Auch der Bürgermeister und der Polizist gingen jetzt dazwischen und nahmen dem Bauern den Spaten ab. Der Spuk war zu Ende. Als der Bauer „entwaffnet“ war, brachte man George Collar in eine Art Gefängnis. Das war ein kleiner Steinkeller bei der örtlichen Kirche. Keine Toiletten, keine Sitzmöglichkeiten, nur der kalte Stein mit etwas Stroh darauf. Bis zum Nachmittag kamen noch weitere 14 gefangene Amerikaner dazu. Die meisten von ihnen wurden von einem Militärfahrzeug  in ein anderes Gefangenenlager gebracht (nach Eisenach in die Stadtkaserne – ehemalige Polizei). Drei von ihnen wählte man aus, Collar, Sollien und Eppley, und befahl ihnen, auf einem von Pferden gezogenen Leiterwagen Platz zu nehmen. Sie dachten, sie müssten ihre verwundeten Kameraden bergen – aber es war weit schlimmer. Sie mussten ihre toten Kameraden aufsammeln. Zuerst fanden sie in einem Garten einen Toten, der offensichtlich aus dem Flugzeug geschleudert worden war. Er trug keinen Fallschirm und jeder Knochen seines Körpers war gebrochen. Sein Schädel war ganz platt gedrückt. Es handelte sich um Lt. Bateman, ein Besatzungsmitglied der Mannschaft von Lt. Johnson, 703 Squadron. Anschließend fuhren sie bergauf und bergab, über Wiesen und durch Wälder, um ihre toten Freunde aufzusammeln. Auf einem Feld fanden sie den toten Funker Joe Guilfoil. Er trug zwar seinen Fallschirm. Den hatten ihm seine Kameraden im Flugzeug bereits angelegt. Aber er war von 20mm-Geschossen in der Hüfte getroffen worden und eines seiner Beine war fast abgetrennt.

Luftschlacht Der US- Bomber, Spitzname "Fort Worth", der in der Luftschlacht über Thüringen bei Herleshausen abstürzte.

Sie hatten ihn aus dem Flugzeug geworfen in der Hoffnung, dass die Deutschen ihn schnell finden und ihm die medizinische Hilfe geben würden, die er von ihnen nicht bekommen konnte. Doch man hatte ihn nicht gefunden. Offensichtlich war er verblutet, denn er lag in einer großen Blutlache.  Joe war ein enger Freund von Sgt. Eppley. Sie fanden auch Lt. Martin Geiszler und George Collar hatte nach dem Krieg die undankbare Aufgabe seinen Eltern über den letzten Tag im Leben ihres Sohnes zu berichten. Ein weiterer Flieger wurde in der Nähe des Mühlgrabens bei der Rimbach Mühle gefunden. Der arme Kerl hatte einen Fallschirm, der sich aber nicht geöffnet hatte. Der Anblick dieses Toten muss grausig gewesen sein, denn seinen Kopf hatte es beim Aufprall in den Brustkorb gedrückt. Auf einer Weide lagen zwei Beine,  die von einem Offizier stammten, denn er hatte die „pinks“, die pinkfarbene Hose der Offiziere an. Carl Sollien fand sein Flugzeug, Spitzname „Fort Worth Maid“ noch ziemlich intakt, als hätte es eine Notlandung gemacht, in der Nähe von Herleshausen auf einem Feld.

- Fortsetzung folgt -

 

 

Mihla, 17. 04. 2014