Der Mihlaer Anger 

Anger bezeichnet eigentlich ein der Gemeinde, also allen Bewohnern, gemeinsam gehörendes Weidegrundstück. Wahrscheinlich zählt der Anger zu den alten germanischen Rechten der Dorfgenossenschaft, die auch noch in der Zeit der rechtlichen Veränderungen des Mittelalters Bestand hatten. 

Meist lag der Anger in der Mitte des Dorfes, häufig war er ein großer, freier Platz, in manchen Gegenden auch mit einem Teich verbunden, auf dem das Federvieh aller Dorfbewohner ebenso seine Rechte wahrnehmen konnte wie die Menschen. 

Diese Lokalisierung stimmt übrigens auch in Mihla. Früher war der Anger wesentlich größer und nahm vermutlich das gesamte Areal bis zur „Heringsgasse“, natürlich an die dortige Hanglage angepasst, ein. Erst im 16. oder 17. Jahrhundert entstand im östlichen Bereich des Angers die Gemeindebackstube, die dann, zuletzt nach dem 2. Weltkrieg, die Fläche des Angers weiter einschränkte.

Auch hinsichtlich der zentralen Lage im Dorf entspricht der Mihlaer Anger den oben genannten „Normen“. Der historische Ortskern Mihlas lag im Bereich der Schotterterrasse oberhalb der Werra, zwischen dem „Junkersitz“ , dem heutigen „Grauen Schloss“, der Mühle, hier der Werramühle, und der Kirche hoch auf dem Berg. Später kamen mit der Gemeindebackstube und dem Gasthof, der „Weißen Herberge“, heue „Schwan“, zwei weitere wichtige dörfliche Einrichtungen hinzu. Für alle diese genannten Gebäude bildete der Anger den eigentlichen Mittelpunkt. Auch die Versorgung mit Trink- und Brauchwasser war gegeben, noch vor 100 Jahren gab es den Angerborn, der alte Standort ist noch bekannt. 

Der Mihlaer Anger 

Blick auf den heutigen Anger mit dem Richtertisch. Früher war der Anger wesentlich größer, was man auch heute noch anhand der gegebenen Form gut erschließen kann. Die „Gemeindebackstube“ wurde erst im 17. Jahrhundert errichtet. Eine steinerne Umfassung sowie der Richtertisch sind Hinweise dafür, dass der Mihlaer Anger schon sehr früh als Ort der dörflichen und später herrschaftlichen Rechtssprechung genutzt wurde. 

Die Besiedlung zu beiden Seiten der Marktstraße, oft als der alte Ortskern angenommen, dürfte wesentlich später entstanden sein. Keines der für die Dorfgemeinschaft wichtigen Gebäude liegt in diesem Bereich und auch die Versorgung mit Wasser war sehrschwierig. Der „Marktborn“, die vier Linden auf dem „Kleinen Markt“ kennzeichnen seinen einstigen Standort sehr schön,. wurde mit einer hölzernen Wasserleitung aus dem „Maßholder“ versorgt.

Zurück zu unserem Anger. Zur Zeit des Mittelalters wandelte sich der Charakter des Platzes. Sicher wurde er noch zu Weidezwecken für das Kleinvieh genutzt, er wurde aber immer mehr zum Platz des Dorfgerichtes. Kein Wunder, war er doch eine ausgewiesene Stätte, die der Dorfgemeinschaft insgesamt gehörte! 

Um 1680 taucht in den Heimbürgenrechnungen (die Heimbürgen verwalteten die Aufgaben der Dorfgenossenschaft und wurden immer für ein Jahr gewählt) der Hinweis auf „Reparaturen an den Angersteinen und dem Angertisch“ auf. Es ist also davon auszugehen, dass die einst umfassenden Steinsetzungen zu dieser Zeit bereits schon recht lange vorhanden waren, wenn sich Reparaturen notwendig machten! 

Ein mit Steinsetzung umgebener Anger ist nun in der Rechtsgeschichte ein sicherer Hinweis auf Gerichtstage, die auf einem solchen Platz durchgeführt wurden. Dies trifft in Mihla in ganz besonderem Maße zu. Dort tagte das Dorfgericht, auf dem die gewählten Schöppen an mehreren genau festgelegten Tagen im Jahr zu allen in ihre Zuständigkeit fallenden Gerichtsfällen Recht sprachen. Die Gerichtsschöppen saßen dann am Richtertisch und die gesamte Einwohnerschaft musste sich versammeln, um der Verhandlung beizuwohnen. Auf diese Gerichtstage wird noch in der 1684 durch die nunmehr als Gerichtsherren zuständigen Herren von Harstall ausdrücklich hingewiesen. Zudem musste sich einmal im Jahr die gesamte Einwohnerschaft auf dem Anger versammeln, um der Verlesung der vom Harstallschen Gericht gegebenen „Dorfordnung“ zuzuhören. 

Auf dem Anger wurden nur die dörflichen Rechtsfälle geklärt. Die Harstalls besaßen die Hohe und niedere Gerichtsbarkeit. Ein weiterer Gerichtsplatz in Mihla ist mit dem Propel vorhanden, zumindest bis zum Ende des 14. Jahrhunderts. Der Propel war Gerichtsplatz der Landesherren, Fälle, die in deren Kompetenz fielen, wurden dort verhandelt. An diese alte Tradition erinnern heute noch die Morgenritte der Kirmesgesellschaft, die den Auftritten der Landesherrschaft nachgeahmt ist. 

Die alte Gerichtslinde hat zudem wohl manches schwere Urteil in der Vollstreckung gesehen, wie die für Januar 1732 vermeldete Hinrichtung eines Mörders. 

Spätestens seit dem Bauernkrieg 1525 hatten die Hasrtalls auch die letzten Rechte der Dorfgemeinschaft hinsichtlich der Rechtssprechung an sich gerissen. Nun saßen sie bzw. von ihnen beauftragte Gerichtsdirektoren am Richtertisch. Den Mihlaern verblieb nur die Aufgabe, die Gerichtsschöppen zu stellen, deren Zustimmung zum Urteil des „gebildeten“, sprich ausgebildeten, Gerichtsdirektor meist voraus gesetzt wurde. Nur selten wagten die Schöppen Einspruch gegen ein gefälltes Urteil. Es gibt aber Kenntnis darüber, dass die Gemeinde sogar Advokaten bemühte, um zu anderen Ergebnissen der Prozesse zu kommen, meist allerdings zog man dann den Kürzeren. 

Ältere Einwohner erinnern sich noch daran, dass auf dem Anger, an der alten Backstube, auch gleich einige Strafinstrumente aufgestellt bzw. angebracht waren: Der Pranger, ein Pfahl, an dem man angeschlossen wurde, um bei kleineren Vergehen den Spott und den Hohn der Dorfgemeinschaft über sich ergehen lassen musste, und die Halseisen für schwere Delikte. 

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts eroberte dann auch die Jugend wieder zunehmend den Anger für sich. Angertanz zum Maienfest und zum Schützenfest  und wohl auch schon sehr früh zum Kirmestanz ließen die Schrecknisse des Platzes für einige Zeit vergessen. Nun saßen nicht die finsteren Richter am Steintisch, sondern die Musikanten. Schon vom Ende des 17. Jahrhunderts gibt es schriftliche Hinweise in den Heimbürgenrechnungen auf „Tanzknechte“, die zur Kirmes von der Gemeinde bezahlt wurden! 

Der Mihlaer Anger 

Nicht immer ging es so freundlich wie zur Kirmes auf dem Anger zu. So manches Gerichtsurteil wurde hier gesprochen und auch gleich vollstreckt! 

So ist unser Anger wirklich ein geschichtsträchtiger Platz in Mihla. Wenn Steine reden könnten, sie hätten viel zu berichten über so manches Leid und manche Freude! 

R. Lämmerhirt

 

 

 

 

Mihla, 31. 08. 2016