Mihla vor 90 Jahren, Schluss - November 1927: 

- An der Ecke Honiggraben/Neustadtstraße baut der Drogist Thomas ein kombiniertes Wohn- und Geschäftshaus. Aufgrund der Lage auf der dortigen Mauer, einem Rest der früheren Dorfbefestigung, wird dieser Neubau die Gestalt eines regelrechten Hochhauses einnehmen. Der Neubau, beim Richtfest auf den Namen “Burgfrieden” getauft, steht kurz vor der Fertigstellung.

Gebaut wird durch die Mihlaer Firma Schlothauer. 

Mihla vor 90 Jahren, Schluss - November 1927: 

Blick auf die alte Bebauung Ecke Honiggraben, Propelstraße. Rechts im Vordergrund die vor der Drogerie Thomas aufgestellte Tanksäule.  

- Die Mihlaer SPD begeht am 7. November den Revolutionstag zur Erinnerung an den Sturz des Kaisers vor 9 Jahren. 

- Mihlaer Zigarrenarbeiter beginnen einen Streik um höhere Löhne. Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung um 15 Prozent, die von den Arbeitgebern abgelehnt wird. Als Antwort auf den Streik werden 300 Beschäftigte in Mihla, darunter sehr viele Frauen, von der Arbeit ausgesperrt. 

-Die Baufirma Schlothauer erhält von der Gemeinde die Erlaubnis, im “Wolfsgarten” am Pfarrkopf einen weiteren Steinbruch zu eröffnen. 

- Im Flurteil Werthausen beginnen Dränagearbeiten. 

- Am Kleinen Markt wird durch die Familie Pook ein neues Tabakwaren- Spezialgeschäft eröffnet.  

Dezember 

- Der Streik in der Mihlaer Zigarrenindustrie wird mit einem Kompromiss beendet: Die Arbeiter erhalten 12 Prozent mehr Lohn. 

- Am 16. Dezember wird die Autobuslinie Eisenach-Mühlhausen durch die Mihlaer Firma Sieckmann/Specht feierlich eröffnet. An der ersten Fahrt nehmen offizielle Vertreter, die Presse sowie die Bürgermeister von Mihla, Neukirchen und Nazza teil. Im Hotel “Kaiserhof” in Mühlhausen findet die Festveranstaltung statt, auf der Rentmeister Cnyrim aus Mihla die Festrede hält.

Eingesetzt werden Dixi-Busse von 35 Tonnen und 45 PS Leistung. 22 Sitzplätze sind vorhanden, die Fahrt von Eisenach nach Mihla kostet 3,50 RM. Als Fahrer hat die Firma die Herren Krause und Biermann aus Mihla eingestellt. 

- Der Landwirtschaftsverein Eisenach zeichnet die beim Baron von Harstall beschäftigten Landarbeiter Trapp und den Schäfer Schwanz für 60 bzw. 20jährige treue Dienste mit einer Medaille aus. 

Mihla vor 90 Jahren, Schluss - November 1927: 

17. Dezember 1927: Eröffnung der Buslinie Eisenach-Mühlhausen. Die offiziellen Gäste der ersten Fahr haben die “Struppeiche” erreicht und stellen sich zum Erinnerungsfoto  

- Aus der Sodafabrik Buchenau wird bekannt, dass die Produktion auf 200 Tonnen (bisher 100 Tonnen) am Tage erhöht werden soll. 

- Die Abwässer aus Buchenau werden in die Werra geleitet. Dadurch beginnt sich die Flussverschmutzung rasch zu erhöhen. 

Mihla vor 90 Jahren, Schluss - November 1927: 

Blick auf die Sodafabrik Buchenau, die im Oktober 1927 sehr zum Segen der Region die Produktion aufnahm. Aufnahme um 1950. 

Fazit: Die Jahre 1926 bis 1928 - Die Zeit der “Goldenen 20er”, Mihlas beste Jahre in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 

Die seit 1924 auch im Werratal spürbare Stabilisierung im wirtschaftlichen und politischen Bereich setzte sich auch in diesen Jahren weiter fort. Dies kam in vielerlei Hinsicht zum Ausdruck. In Mihla wurden die seit dem Wasserleitungsbau 1923 arg in Mitleidenschaft gezogenen Straßen allmählich in Ordnung gebracht. Bis 1927 erhielten die Münster-, Pfarrmünster- und die Eisfeldstraße eine wasserabweisende Straßendecke, 1927 begann die Eisenacher Baufirma Enke mit der Pflasterung der Bahnhofstraße. Dazu musste die Gemeinde allerdings einen Kredit in Höhe von 20.000 RM aufnehmen. 

Nach langer Auseinandersetzung verbesserten sich auch die Straßenverhältnisse auf der Staatsstraße Eisenach-Mühlhausen. Im Oktober 1927 konnte bereits der erste Linienbusverkehr zwischen den Städten Eisenach und Mühlhausen eröffnet werden. 

Auch die Wohnverhältnisse und damit die Lebensbedingungen insgesamt verbesserten sich. Die ersten “Neubauten” in Mihla, Typenhäuser im Reihenhausstil, wurden von der 1926 begründeten Wohnungsbaugenossenschaft “An der Teichwiese” in Angriff genommen (heute Schulstraße, Wiesenstraße, Rosenallee, Am Cuxhof). Der Drogist Willi Thomas begann den Bau eines siebenstöckigen “Hochhauses” auf der Mauer im Honiggraben, dem höchsten Wohnhausbau in Mihla, in dem er seine moderne Drogerie mit Badeanstalt einrichtete. 

Auch in anderen Bereichen ging es nun besser voran. Endlich sprach sich die schon lange erhoffte Meldung herum: Die neue Sodafabrik in Buchenau stand kurz vor ihrer Eröffnung. Im Oktober 1927 war es dann wirklich so weit, 80 Mihlaer bekamen in Buchenau eine Anstellung. Zur gleichen Zeit erlebte die Zigarrenindustrie eine neue Konjunktur. Vorbei war die Zeit der Kurzarbeit.

Neue Aufträge gab es auch für die Mihlaer Baubetriebe. Besonders die Firma Schlothauer stellte neue Arbeitskräfte ein und eröffnete weitere Steinbrüche im Mihlaer Tal und am Pfarrkopf im “Wolfsgarten”. Aus der Werra wurde Kies mit Hilfe eines Schwimmbaggers entnommen.  

Veränderungen gab es auch in der Schule. Als größte Schwierigkeit stellte sich die Baufälligkeit der alten Bürgerschule heraus. Die Alexanderschule verfügte nur über 2 Schulsäle, die dringend erforderlichen kleineren Klassenstärken kamen so nicht zustande. Trotz mehrfacher Anträge an die verantwortlichen Stellen stand kein Geld für einen Schulneubau zur Verfügung. Ein letzter Versuch scheiterte 1928, als man bereits einen neuen Standort in die Diskussion gebracht hatte,

Da war es schon wichtig, dass es am Ölberg weiter die Mädchenberufsschule, die sogenannte “Kochschule”, gab, um die Chancengleichheit für die Mädchen in der Berufswahl wenigstens etwas zu verbessern. Übrigens auch eine Neuerung der 20er Jahre: Berufsausbildung für Mädchen! 

Seit 1925 gab es in Mihla eine Bücherei. Im gleichen Jahr war ein Filmgerät für die Schule durch die Gemeinde angeschafft worden. Damit zog die Kinounterhaltung in Mihla ein. Schon ab 1928 gab es regelmäßige Kinoveranstaltungen im Saal der “Goldenen Aue”.  

Der Fortschritt war für alle auch in Mihla sichtbar. 1928 waren im Ort 5 PKW, 9 LKW, 4 Busse, 2 Traktoren und 15 Motorräder angemeldet. Bereits im Jahr zuvor hatte die Gemeinde eine erste Tanksäule am „Roten Schloss“ erhalten. 

Allerdings blieben diese positiven Ergebnisse nicht stabil. Die 1929 ausbrechende Weltwirtschaftskrise brachte bald alles zum Einsturz. 

R. Lämmerhirt 

 

 

 

 

Mihla,27. 04. 2017