Zwangseingemeindung Lauterbach - Mihla vor 90 Jahren - Probleme um Verwaltungsstrukturen haben in unserer Region eine lange Geschichte - Die Problematik beschäftigte damals die Einwohnerschaft der Orte im Lautertal sehr. Die Nachwirkungen dieser Eingemeindung sind bis heute zu spüren. Es ist daher angebracht, über einige Hintergründe der Vorgänge und auch der Haltung der Einwohnerschaft beider Orte weitere Informationen darzustellen und somit den damaligen Vorgängen objektiv nahe zukommen. Zwangseingemeindung Lauterbach - Mihla vor 90 Jahren Die alten Grenzsteine mit den Aufschriften "HSG" und "SWE" erinnern an die Zeit der Kleinstaaterei. Seit vielen Jahrhunderten waren die Nachbargemeinden Mihla und Lauterbach aus der jeweiligen Sicht "Ausland". Lauterbach gehörte gemeinsam mit den Exklaven Nazza, Ebenshausen und Neukirchen zum Herzogtum Sachsen- Gotha. Mihla und Bischofroda, ebenso Berka, waren Bestandteil des Großherzogtums Sachsen- Weimar - Eisenach. Die Flurgrenze zwischen Mihla und Lauterbach war also keine gewöhnliche Grenze zwischen benachbarten Orten, sondern zugleich Landesgrenze. Daran, an diese unselige Zeit der Kleinstaaterei, erinnern heute noch die vielen Grenzsteine mit der Aufschrift "S-W-E" und H-S-G" (Herzogtum Sachsen- Gotha), die man zum Beispiel am Harsberg findet. Das bedeutete für unsere Vorfahren ganz erhebliche Unterschiede. Lauterbach unterstand gerichtlich dem Amt Nazza, später Waltershausen. Mihla dem Gerichtsamt Creuzburg. Es galten unterschiedliche, teilweise sogar unterschiedlichste, Gesetze, verschiedene Maße und Gewichte und unterschiedliche Währungen! Besonders schwierig war das Einheiraten in die jeweiligen Orte. Erbschaftsstreitigkeiten, besonders wenn es Flurstücke "im Ausland" betraf, erschwerten die Entwicklung normaler nachbarschaftlicher Verhältnisse. Es muß ergänzt werden, dass in Mihla mit den Harstalls ein expandierendes Adelsgeschlecht saß, welches mit Vorliebe in die Rechte der Bauern in Mihla und, wenn möglich, auch in die Rechte des Nachbarortes, zum Beispiel beim Wald, eingriff. Oft einigte sich dann die "Herrschaft", also die Harstalls in Mihla und die von Hopffgartens in Lauterbach, auf Kosten der einfachen Bauern, solche Vorgänge sind mehrfach überliefert und bekannt. Ganz schlimm wurde es in Kriegszeiten, zum Beispiel in der Zeit Napoleons oder zuletzt im deutsch- deutschen Krieg von 1866. Dann standen nämlich Mihlaer und Lauterbacher auf verschiedenen Seiten und oft auch wegen der Politik ihrer Landesherren gegeneinander im jeweiligen Militär. Daher glaube ich, dass es ganz schwierig war, normale nachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Auch die seit der Reformation bestehende gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Kirchgemeinde war wegen der Verteilung der Lasten und Abgaben für den in Mihla wohnenden Pfarrer und den Unterhalt der Pfarrwohnung häufig umstritten. Viele dieser Streitigkeiten zwischen den beiden Gemeinden endeten vor Gericht. Nun stürzte die Novemberrevolution 1918 die Herrschaft der Fürsten. Die Kleinstaaterei wurde aufgelöst. 1920 entstand das Land Thüringen, erstmals in der deutschen Geschichte. Das bedeutete, dass die ehemals gothaischen Orte Lauterbach, Neukirchen und Nazza nun in den neu gebildeten Kreis Eisenach übernommen wurden. Die Verwaltungsreform sollte aber noch weiter geführt werden. Es wurde angekündigt, daß sich Lauterbach und Mihla zu einer Gemeinde zusammenschließen sollen. Beweggründe für diesen Zusammenschluss waren zum einem die unmittelbare Nähe der beiden Orte zwischen Sandmühle und Lauterbacher Mühle und die Tatsache, dass der Zusammenschluss auf Ebene der Kirchgemeinden ja bereits vorhanden war. Hinzu kam, dass gerade in diesen Jahren an einem gemeinsamen Wasserversorgungssystem gearbeitet wurde. Kein Wunder, dass der Drang der Landesregierung, große Gemeinden zu schaffen, in Lauterbach und Mihla günstig erschien. Nicht berücksichtigt wurden allerdings die Befindlichkeiten der Bürger, die ich oben beschrieben habe. Für erneute Unruhe sorgte die Mitteilung, dass Lauterbach an Mihla "angegliedert" werden solle, es also keine "Verschmelzung" geben würde, sondern die größere Gemeinde nach dem Willen der Landesregierung dominieren würde. Besonders kritisiert wird, dass der neue Ortsname nur "Mihla" lautete. Die im September 1922 stattfindenden Kreisratswahlen drücken die politischen Vorgänge der letzten Wochen aus. Die Verunsicherung der Bürger ist sehr groß. Der rechtsradikale Landbund erhält in Mihla die meisten Stimmen: - Landbund: 522 Stimmen, SPD: 359 Stimmen, USPD: 177 Stimmen, KPD: 17 Stimmen, DNVP: 18 Stimmen, DVP: 104 Stimmen. Die SPD, zu dieser Zeit auch in der Landesregierung in politischer Verantwortung, verliert damit in Mihla erstmals ihre Stimmenmehrheit. Analysiert man dieses Ergebnis, dann haben mit den Stimmen der USPD, KPD, dem Landbund und der DNVP insgesamt 734 Mihlaer ihre Stimmen radikalen Parteien gegeben! Die Unsicherheit der politischen Verhältnisse kann wohl kaum sichtbarer zum Ausdruck kommen. Ende September 1922 wird die Zwangsvereinigung von Lauterbach mit Mihla vollzogen. Ab 1. Oktober ist damit der Ortsname Lauterbach von der Landkarte verschwunden. Der Widerstand der Lauterbacher ist ungeheuer groß. Aber auch in Mihla gibt es viele Stimmen gegen den Zusammenschluss: Die am 10. September bereits gemeinsam in beiden Orten durchgeführten Gemeinderatswahlen führten zur Bildung eines gemeinsamen Gemeinderates. Zwei Lauterbacher, Karl Lerp und Christoph Pook, vertreten dort die Nachbargemeinde. Nun hat die Mihlaer SPD auch im Gemeinderat keine Mehrheit mehr! In der Folge werden alle Anträge der Mihlaer SPD- Ortsgruppe von der durch die Lauterbacher Abgeordneten entstandenen Mehrheiten im Gemeinderat konsequent abgelehnt. Die politische Situation in Mihla kocht hoch. Höhepunkt ist der Antrag der SPD- Fraktion , das Rathaus als öffentliches Gebäude für Schulungen der Partei nutzen zu können. Der Antrag wird abgelehnt. Daraus entwickelt sich ein längerer Streit zwischen der Mihlaer SPD- Ortsgruppe und der Mehrheit des Gemeinderates, der bis vor das Gericht führt. Die Fortführung der Verwaltungsreform 1923 legte fest, daß die Ortschaften Ebenau, Buchenau, Freitagszella, Hahnroda und Mihlberg nach Mihla eingemeindet werden sollen. Danach wäre die Großgemeinde Mihla einwohnermäßig der größte Landort im Kreis gewesen. Der Druck, vor allem der Lauterbacher, auf die Landesregierung, die Zusammenlegung von Lauterbach und Mihla aufzuheben, war in den letzten Wochen immer größer geworden. Immer wieder werden Petitionen an den Landtag geschrieben. Nach der Bildung der neuen Landesregierung in Weimar braucht diese jede Unterstützung von der Parteibasis der SPD. Daher wird nun den beiden Gemeinden signalisiert, man möge in den Gemeinderäten Aufhebungsbeschlüsse fassen. Diese würden dann vom Landtag genehmigt und die Verschmelzung wieder rückgängig gemacht. Dazu kommt es Anfang 1924 in beiden Orten. Erleichterung nicht nur in Lauterbach, auch bei der Mihlaer SPD, die die nächsten Gemeinderatswahlen gewinnt und mit Märten dann den Bürgermeister stellte! Was blieb, ist ein völliges Scheitern des Versuches, neben Creuzburg eine weitere große und wirtschaftlich starke Gemeinde im Lautertal zu schaffen. Die politischen Folgen des von oben gewollten Versuches, der wohl vor allem auch aus Sicht der politisch Regierenden im Land als sinnvoll erschien, sind leider bis heute stark spürbar und wirken sich zwischen den Gemeinden Lauterbach und Mihla mitunter stärker aus, als zwischen anderen Nachbargemeinden.

- R. Lämmerhirt                

Mihla, 30.08.2012