Was geschah vor 75 Jahren in Mihla? – Die Wehrmacht leistet Widerstand - Teil 2 

Am frühen Morgen des 4. April waren Heinrich Böhm, als Hauptmann der Reserve und Leiter des Postamtes einer der Führer des Volkssturms im Ort, und Friedrich Böhnhardt auf dem Mihlaer Kirchturm. Ihren Beobachtungen verdanken wir die Kenntnis über den weiteren Verlauf der Ereignisse.

In seinen Aufzeichnungen berichtet Heinrich Böhm, dass gegen 9.00 Uhr, als er auf dem Kirchturm eintraf, an der Panzersperre in der Nähe des Mihlaer Bahnhofes bereits ein amerikanisches Fahrzeug brannte. Wie auch andere Zeugen berichteten, wurde dieses Fahrzeug (wahrscheinlich der Jeep eines Stoßtrupps) von dort in Stellung liegenden deutschen Soldaten mit einer Panzerfaust abgeschossen. Mindestens ein amerikanischer Soldat sei dabei ums Leben gekommen. Nach diesem ersten Vorstoß der Amerikaner hatten sich diese wieder bis in den Lienig zurückgezogen.

Ununterbrochen kreisten jedoch Aufklärungsflugzeuge über den Ort. Der erste direkte Feindkontakt hatte inzwischen dazu geführt, dass sich auch die deutschen Soldaten aus dem westlichen Vorfeld Mihlas zurückzogen. Besetzt blieben dagegen die Pak-Stellung auf Höhe des Polizeihauses (hier stand eine veraltete 3,7 cm Pak) sowie jene am Rande des Cuxhof-Parkes. Etwa dort, wo heute das Wohnhaus der Familie Wikner steht, war eine regelrechte Stellung für das modernste Geschütz der Panzerjäger, eine Pak 40, angelegt worden. Gegenüber lag mit der Scheune, heute Familie Merz, die Schirrmeisterei der Abteilung.

Auch der Panzer an der Eisenacher Straße befand sich noch in seiner Stellung, neben einem heute noch erhaltenen Baum am Sorgaer Weg.

Was war auf amerikanischer Seite geschehen? Am Vortage war das 259. Infanterieregiment der 65. Division in Creuzburg angelangt. Am 4. April drang dieses Regiment mit Teilkräften von Creuzburg aus vor. Diese Truppen erreichen nämlich, „.... ohne auf bewegungshemmende Truppen zu stoßen ...“ (Kampftagebuch der 65. Division) am 5. April 1945 gegen 12.00 Uhr Kammerforst.

Da zu dieser Zeit nur noch in Mihla deutsche Verbände standen, kann sich dieser Hinweis in der Kriegschronik der 65sten Division nur auf das Vordringen in den Raum Mihla beziehen. Danach erreichte das 2. Bataillon des 259. Infanterieregimentes am 5. April von Südwesten her Langensalza. Unterstützt wurde es von Teilen des 691. TDBn (Tank Destroyer Bataillon = Panzerzerstörungsbataillon) und des 748. Panzerbataillons.

Aus all diesem lässt sich schließen, dass Soldaten des 2. und 3. Infanteriebataillons des 259. Infanterieregimentes der 65. Division mit Unterstützung der genannten Panzereinheiten sowie des Mechanisierten Aufklärungstrupps (Ausrüstung mit Jeeps) der Division von Creuzburg über Hahnroda herkommend in Mihla eindrangen. 

Die Ereignisse, die sich dann im Umfeld des Mihlaer Bahnhofs abspielten, konnten bisher nicht eindeutig geklärt werden. Vom Lienig her, wo die Vorposten die Nacht verbracht hatten, näherten sich US-Soldaten beidseitig der Straße dem Ortsrand von Mihla. An der Spitze fuhren wohl mehrere Fahrzeuge, vermutlich Spähpanzer vom Typ M3 (Half Truck). 

Während das Steinmetzgeschäft Schlothauer und auch Teile des Bahnhofs ohne auf Widerstand zu stoßen besetzt worden sind, kam der Vormarsch an der deutschen Straßensperre vor der Bahnhofeinfahrt/Haus Familie Wuth zum Stehen. 


US- Stahlhelm, gefunden in der Nähe des Steingrabens, wohin sich die US-Soldaten nach dem unerwarteten Widerstand am Mihlaer Bahnhof zunächst zurückzogen. Er zeugt davon, dass auch die US-Truppen an diesem Morgen vor Mihla Verluste erlitten, Museum im Mihlaer Rathaus. 

Hinter der Panzersperre lagen an diesem Morgen noch deutsche Soldaten. Sie eröffneten das Feuer und trafen das Fahrzeug, vermutlich mit einer Panzerfaust. Denkbar wäre auch, dass der an der Eisenacher Straße stehende deutsche Jagdpanzer in das Feuer eingriff. Das US-Fahrzeug wurde schwer getroffen, kippte um und brannte völlig aus. Die US-Soldaten erwiderten das Feuer und zogen sich, nachdem sie die Besatzung des Fahrzeuges geborgen hatten, bis hinter den Steingraben in Richtung Buchenau zurück. 

William A. Linley war an diesen Kämpfen beteiligt. Er teilte im Jahre 2005 schriftlich mit, dass in diesem Gefecht zwei oder drei der im Fahrzeug sitzenden Soldaten der K-Kompanie des 259sten Infanterieregiments getötet wurden. Kenntnis über diese Vorgänge besitzen wir weiter über den Zeitzeugenbericht von Heinrich Böhm, der mit anderen Mihlaern wenig später, nach den Ereignissen an der Post, den US-Streitkräften entgegenging und schrieb, dass vor dem Bahnhof ein amerikanisches Fahrzeug brannte. Dort „…hätten die Amerikaner aber ihre Toten schon geborgen…(gehabt)“. Auch Pfarrer Mitzenheim, der am 5. April die Bahnhofstraße zu sehen bekam, berichtet von einem Kampffeld, auf dem überall Kriegsgerät verstreut liege, und auch von einem ausgebrannten amerikanischen Fahrzeug. 

Die deutschen Unterhändler um Heinrich Böhm stießen bei ihrem Versuch die US-Streitkräfte vom Beschuss Mihlas abzuhalten auch unweit dieser Stelle auf einen schwer verletzten deutschen Soldaten (Kopfschuss), den sie bargen und in den Ort brachten. Die Schule wurde als Lazarett genutzt. Sicher ist zu vermuten, dass es an der Panzersperre am Bahnhof tatsächlich zu einem kurzen Kampf gekommen war.

Während sich diese Kämpfe am frühen Morgen, wohl noch in der Dämmerung abspielten, zog zunächst für gut eine Stunde Ruhe ein. Die US-Streitkräfte müssen sich auf den Artillerieangriff auf Mihla vorbereitet haben, die übliche Taktik, wenn man auf Widerstand stieß.

Auf deutscher Seite zogen sich die Soldaten vom Bahnhof zurück. Der kurze Kampf hatte genügt, den letzten Widerstandswillen zu beenden. Inwieweit der von Oberleutnant Walborn im Nachhinein seinem Sohn mitgeteilte Befehl zur Selbstauflösung der deutschen Truppe tatsächlich gegeben und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt, ist wohl nicht mehr zu klären. 

Der Sohn von Oberleutnant Walborn teilte mir in mehreren Gesprächen aus der Erinnerung mit, dass sein Vater seine Kameraden aufgefordert habe, den Kampf zu beenden und die Auflösung der Truppe durchzuführen. Nach seiner Aussage folgten ihm etwa 10 Soldaten. Er selbst schlug sich durch die gegnerischen Linien bis in seinen Heimatort Großburschla durch, den er am 5. April zum Erstaunen seiner Familie erreichte. Dort vergrub er Uniform und Waffe und tauchte zunächst unter. Später gelang es ihm dort ein ziviles Leben zu führen. 1949 wechselte er in die BRD und starb in Hessen 1989. Vgl. Aussagen seines Sohnes, schriftlich protokolliert, Manuskript im Ortsarchiv Mihla.

Auf jeden Fall zogen sich etliche der deutschen Soldaten mit ihrer Technik zurück, andere verließen ihre Stellungen, zerstörten die letzten Panzer, so einen Hetzer und das Sturmgeschütz an der Ziegelei, andere, so Walborn und nach seiner Schilderung mit ihm weitere etwa zehn Angehörige der Kompanie, beschlossen, den Kampf für beendet zu erklären und sich in ihre Heimatorte durchzuschlagen.

Einige wenige Soldaten verblieben in den Stellungen, so am Mihlaer Postamt. Die 7,5 cm Pak oberhalb der Feldstraße blieb ebenfalls besetzt, aber ein Fahrzeug stand bereit, sie Bedarf anzuhängen und damit den Rückzug anzutreten. 

Gegen 9.30 Uhr näherte sich entlang der Bahnhofstraße ein weiteres amerikanisches Fahrzeug dem Ort. Zeitzeuge Böhm berichtet von einem „Panzerspähfahrzeug“, offenbar handelte es sich aber auch bei diesem Fahrzeug um einen Jeep, der über ein eingebautes schweres Maschinengewehr verfügte. Militärexperte Ingo Bischoff hält für möglich, dass der „Willy"- Jeep einen Anhänger (1/4 Ton Trailer) besaß, wodurch bei den Zeitzeugen der Eindruck entstehen konnte, es handele sich um ein größeres Fahrzeug. 

Das Fahrzeug hatte vier Mann Besatzung. Im Fall Mihla wird angenommen, dass der Gefreite John H. Boysen, der Sergeant Fred H. Germain und, vermutlich, der Leutnant Richard C. Matthis vom 259ten Regiment zur Besatzung des Aufklärungstrupps gehörten. Hinzu kam der Oberleutnant David M. Pringle vom 867sten Feldartilleriebataillon, der wohl als Artillerieaufklärer „vor Ort“ Schussdaten für den unmittelbar bevorstehenden Beschuss von Mihla feststellen sollte. 

Gegen 10.00 Uhr erreichte das amerikanische Aufklärungsfahrzeug, vom Bahnhof herkommend, die Kreuzung vor der Mihlaer Werrabrücke. Hier war eine Panzersperre angelegt, so dass es zu einem kurzen Halt kam. Gleichzeitig, so berichten Mihlaer Zeitzeugen, kamen einige der vor der alten Post in Stellung liegenden deutschen Soldaten aus ihren Schützenlöchern heraus, um sich den Amerikanern zu ergeben. 


Standard-Jeep der US-Streitkräfte vom Typ "Willys", wie er an der Mihlaer Post durch eine Pak vernichtet wurde. Es kann möglich sein, dass der Jeep einen Anhänger zog, wodurch der Eindruck entstand, es hätte sich um ein Sechsradfahrzeug gehandelt, Foto eines Modells im Mihlaer Museum, Autor. 

Andere deutsche Soldaten zogen sich in das Gebäude der „Goldenen Aue“ zurück und es hatte den Anschein, als würden sie von dort das Feuer eröffnen. Diese Handlung führte dazu, dass die US-Soldaten ihrerseits auf diese Gruppe einige Schüsse abgaben, ob mit ihren Handfeuerwaffen oder mit dem MG an Bord, ist nicht zu klären. Kugeleinschläge waren noch lange Zeit an den Eingangspfosten des Hauses der Familie Möbius gleich neben der „Goldenen Aue“ zu sehen. 

In jenem Moment eröffnete die deutsche Pak 40 aus ihrer Stellung heraus das Feuer auf das Spähfahrzeug. Dieses versuchte im Rückwärtsgang aus der Gefahr zu entkommen, doch eine der ersten Granaten traf und führte zu einer Explosion. Alle vier US-Soldaten wurden auf der Stelle getötet. Nach dem Beschuss flohen die deutschen Soldaten und auch die Pak wurde mit einem Fahrzeug aus der Stellung abgezogen, während die 3,7 cm Pak, die vor dem Polizeihaus in der Feldstraße stand und von der viele Mihlaer glaubten, aus ihr wären die tödlichen Schüsse gefallen, stehen blieb. 


Sergeant Frederik (Fred) Germain, geboren 1917 in Oude Pekela, Niederlande, 1920 mit seinen Eltern in die USA ausgewandert, lebte bis zur Einberufung in die Armee in Rushmore, Minnesota. Fred Germain war verheiratet und seine Frau mit dem zweiten Kind schwanger, als er in Mihla an der Post getötet wurde.

Da der amerikanische Spähtrupp ohne direkte Unterstützung handelte, zog nach diesem Angriff wieder Ruhe ein. Offenbar sahen die deutschen Befehlshaber an dieser Stelle ihren Auftrag für erfüllt an. Spätestens jetzt kam der Befehl zum Rückzug bzw. zur Selbstauflösung. Der Jagdpanzer an der Eisenacher Straße und die Pak wurden zurückgezogen, andere Waffen, so der Hetzer und das Sturmgeschütz an der Ziegelei, ein Panzer in der Mühlhäuser Straße und ein weiterer oberhalb der Schmiede am Wernershäuser Berg, wurden aufgegeben und stehen gelassen.

Dritter Teil: Die Rettung Mihlas demnächst

R. Lämmerhirt