1945 - Erinnerung an ein außergewöhnliches Leben – August Kuhlmann 

Wir hatten in mehreren in mehreren Artikeln das durch Frau Barbara Kuhlmann, der Urenkelin des letzten Mihlaer Harstalls, nach Mihla zurückgekehrte Gästebuch der Familie im „Grauen Schloss“ berichtet. 

Im letzten Teil ging es auch um die Hochzeit, die im Sommer 1945 im „Grauen Schloss“ gefeiert wurde. Damals heiratete die Enkelin des im Februar 1945 verstorbenen Barons Georg Ludwig Ernst von Harstall, Sabine Goße-Brauckmann den ehemaligen Hauptmann Armin Kuhlmann. Beide hatten sich kennengelernt, als Sabine während ihres Dienstes in einem Lazarett den schwer verwundeten Offizier kennenlernte. 


Frau Barbara Kuhlmann bei einem ihrer letzten Besuche in Mihla, hier im Mihlaer Kirchenarchiv mit Freunden bei Kirchenführerin Frau Dorothea Raatz, die nach Familieneintragungen im Kirchenbuch sucht. 

Frau Barbara Kuhlmann, Tochter aus dieser Ehe, hat für die Geschichte der Familie von Harstall Außerordentliches geleistet. Sie wohnt in Hamburg, hat viele Dinge, Gegenstände, Urkunden und Bilder, aus der Familiengeschichte zusammengehalten und damit erhalten. Diese sind jetzt beinahe alle im Mihlaer Museum unter dem Titel „Adel, Bauern und Kriege in Westthüringen“ zu sehen. Seither bestehen enge Beziehungen zu Mihla und zum Museum. 

Was Frau Kuhlmann in ihrer bescheidenen Art aber bisher immer nur andeutete, dass ihr Vater aus einer sehr interessanten und nicht unbedeutenden Familie stammt: Ihr Großvater väterlicher Seite war August Kuhlmann, ein in der Kaiserzeit bekannter Missionar. 

Sein Name wäre wohl weitgehend unbekannt geblieben, hätte es nicht in den letzten Jahren die international sehr beachteten Auseinandersetzungen um die Art und Weise der kaiserlich-deutschen Kolonialpolitik in Südwestafrika gegeben, die bis heute noch nicht zu Ende diskutiert sind und immer noch auf gerichtliche Urteile warten. 

So wurden vor gut zehn Jahren intensive historische Forschungen über die tatsächlichen Abläufe der militärischen Auseinandersetzungen während der großen Volksaufstände der Hereros und Namas (deutsch abwertend als „Hottentotten“ bezeichnet) angestellt und in diesem Zusammenhang kam August Kuhlmann und seine Rolle als Missionar in Südwestafrika dann auch in den Brennpunkt des Geschehens. Auch Frau Barbara Kuhlmann wurde in Hamburg „entdeckt“ und nach ihrem Vater und Großvater befragt. 

Dabei kann Barbara Kuhlmann gut mitreden über dieses Land, in dem sich ihr Großvater bewähren musste und dies auch tat. 


Barbara Kuhlmann 2017 im Mihlaer Museum bei der Übergabe des Harstallssiegel. 

Ende der 1940er Jahre zog die dreijährige Barbara Kuhlmann nach der Vertreibung ihrer Familie und der ihrer Mutter aus Mihla und der damaligen sowjetischen Besatzungszone mit ihren Eltern nach Namibia. Bis zu ihrem 14. Geburtstag lebte sie dort. Ihr Großvater August Kuhlmann war zu dieser Zeit bereits seit einigen Jahren (1945) verstorben, aber bei den Ureinwohnern noch sehr gut bekannt. 

Ihre beste Zeit verbrachte Barbara Kuhlmann, so ihre eigene Aussage, bei der Witwe von August Kuhlmann, seiner zweiten Frau Elisabeth. Sie war selbst im heutigen Namibia geboren und aufgewachsen, ebenfalls Tochter eines Missionars. Nach dem Tode der ersten Frau von August Kuhlmann im Jahre 1903 stand sie dann an der Seite des „Herero-Missionars“ Kuhlmann. 

Die Nachforschungen, die Marc Engelhardt 2016 bei Barbara Kuhlmann betrieb, förderten Ungeahntes zu Tage: „Barbara Kuhlmann hat in ihrer Hamburger Wohnung Magnet­bänder gelagert, die ein Freund der ­Familie aufgezeichnet hat. Darauf erzählt die Großmutter von ihrem Treck mit dem Ochsenwagen bis in den Osten des Landes, wo August Kuhlmann seine Missions­station gründete. „Omali“ lachte viel. Und sie erzählte Anekdoten…“ (aus: Serie Mission: August Kuhlmann half den Herero in Namibia, https://chrismon.evangelisch.de › artikel › serie-mission...) Armin und Sabine Kuhlmann unterstützten zu dieser Zeit die Opposition gegen den Apartheidstaat. Darunter waren auch viele Herero. 

­Bei ihnen galt der Name August Kuhlmann noch sehr viel. Er gilt ihnen bis heute als Vertrauter, Freund und Verbündeter. 

Allein diese Gedanken, die für mich völlig neu waren, machten mich weiter neugierig, mehr über August Kuhlmann zu erfahren. Und es gelang. Ich bin schon heute auf den nächsten Besuch von Barbara Kuhlmann in Mihla gespannt, um aus erster Hand weitere Einzelheiten zu erfahren. 

 

Wer war nun dieser August Kuhlmann? 

Geboren wurde er am Weihnachtstag des Jahres 1871, im Jahr der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, in Westfalen, in der kleinen Stadt Enger Sohn als eines Steinmetzes. Als Kind und Jugendlicher erlebt er den Aufbruch der beginnenden Kolonialzeit und des Wunsches nach Mission der in Afrika entdeckten unzähligen „Heiden“. „Ein Kind seiner Zeit…“, wie Barbara Kuhlmann später sagt. 


August Karl Heinrich Kuhlmann (1871-1945) als junger Missionar. 

Seine religiöse Motivation scheint ihm von der strenggläubigen Mutter in die Wiege gelegt zu sein. 

Nach der Lehre als Schumacher ging er nach Berlin und wurde bald aktives Mitglied in religiös geprägten Jugendgruppen. Bald reifte der Entschluss, als Missionar nach Afrika zu gehen, in die dort inzwischen begründeten deutschen Kolonien. 

Nach einer sechsjährigen Ausbildung in den Reihen der besonders in Deutsch-Südwest-Afrika wirkenden „Rheinischen Mission“ entsandte diese ihn 1898 ins Land der Herero, des größten einheimischen Volksstammes. 

1899 begründete August Kuhlmann die Missionsstation von Okazeva. Erste Missionarsaufgaben führten ihn in die Wüste Kalahari. 

In Otjimbingue heiratete er die Missionarstochter Johanna Braches (*1874), die bereits 1901, elf Tage nach der Geburt von Zwillingen mit Kindbettfieber starb. Mit Hilfe befreundeter Missionare konnte August Kuhlmann die beiden Söhne aufziehen. 

1903 ging er eine zweite Ehe mit Elisabeth Dannert (1878-1965) ein, ebenfalls ein Kind einer Missionarsfamilie. Mit ihr kehrte er bald in seine Missionsstation nach Okazeva zurück. Mit dieser Frau, in Südwest geboren und fließend die Herero-Sprache sprechend, hatte er eine treue Wegbegleiterin an seiner Seite, die ihm insgesamt neun Kinder schenkte. Als letzter Sohn wurde Armin Kuhlmann geboren, der Vater von Barbara Kuhlmann. 

Dies wären sicher schon ausreichend Spuren eines bemerkenswerten Lebens, aber: Im Frühjahr 1904 erhoben sich auch die Herero in seiner Mission gegen die deutsche Kolonialherrschaft. 

August Kuhlmann verstand sich als Seelsorger seiner Gemeinde und zog trotz aller Risiken mit seiner Frau und den kleinen Kindern mit „seinen“ Hereros ins Feld. In sieben entbehrungsreichen Kriegswochen erlebte er die furchtbaren Wirkungen des Krieges und der überlegenen deutschen Waffentechnik auf die friedlichen Familien und erst durch das Eingreifen des bekannten Herero-Häuptlings Samuel Maharero, der sich bei dem deutschen Gouverneur Theodor Leutwein für den Missionar einsetzte, wurde er in die sichere Siedlung Okahandja geschickt. 


Die evangelische Missionskirche in Windhuk, aus: Zigarettenalbum Deutsche Kolonien, Dresden 1936, Bild 135. 


Gefecht zwischen Soldaten der deutschen Schutztruppe und Hereros. Am Waterberg wurden die Hereros geschlagen und anschließend in die wasserlose Wüste gejagt, wobei die meisten von ihnen den Tod fanden. Die Überlebenden wurden in Lager gesperrt. August Kuhlmann begleitete die Hereros und versuchte immer wieder, diesen zu helfen. Aus: Bilder deutscher Geschichte, Zigarettenalbum, Hamburg 1936, Bild 197. 

Dort wurde er immer wieder Kontrollen, Befragungen und Schikanen der deutschen Offiziere unterzogen, die seine Haltung zu den Hereros stark kritisierten und in ihm wohl einen Verräter sahen. 

August Kuhlmann blieb bei seiner Haltung. Immer wieder zeigte er die Ursachen des Aufstandes auf und machte Vorschläge, wie der Friede wiederhergestellt werden könnte. Alle wurden von der deutschen Seite nicht gehört. 

Marc Engelhardt schrieb dazu: „August Kuhlmann, der stets zwischen seiner herzlichen Bindung als Geistlicher zu den Herero und seiner staatsbürgerlichen Pflichten hin- und hergerissen war, blieb auch nach dem Ende des Herero-Aufstands Gewährsmann und Vertrauensperson der Herero und unterstützte den Wunsch des Gouverneurs Friedrich von Lindequist, die in der Omaheke und den östlichen Landesteilen untergetauchten Herero mögen friedlich zurückehren und sich ergeben. Zu diesem Zweck wurden von der Rheinischen Missionsgesellschaft beaufsichtigte Sammellager eingerichtet, die der Erfassung und der Erholung der Rückkehrer dienten.  August Kuhlmann leitete von 1905 bis 1907 das Sammellager bei Omburu nahe Omaruru.“ 

Immer wieder machte er dann durch kritische Berichte auf die furchtbare Lage der Hereros in diesen Lagern aufmerksam. Die erreichten Ergebnisse waren jedoch oft niederschmetternd. Die deutsche Kolonialverwaltung beging mit ihrem Vorgehen gegen die besiegten Hereros Völkermord, der bis heute nie richtig gesühnt wurde. 

In einem längeren Heimataufenthalt 1910 schrieb August Kuhlmann eine zweibändige Abhandlung über seine Erlebnisse. Das Buch „Auf Adlers Flügeln“ wurde ein großer Erfolg und August Kuhlmann reiste damit sowie einer Serie von Fotoaufnahmen durch Deutschland und informierte alle, die es wissen wollten, über die tatsächlichen Ereignisse in Deutsch- Südwest. 

Aus dieser Zeit existieren noch viele Fotos, die Barbara Kuhlmann sichten und sortieren möchte. 

   

Was wurde nun aus August Kuhlmann nach der Niederschlagung des Herero-Aufstandes? Mit seinem kritischen Buch „Auf Adlers Flügeln“ und seinen Bildvorträgen, in denen er auf das Leid der Ureinwohner und auch auf die Verbrechen der deutschen Schutztruppe und der Verwaltung in Süd-West hinwies hatte August Kuhlmann kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges für sehr viele Diskussionen gesorgt. 

Allerdings beendete der Ausbruch des Krieges rasch diese im Kaiserreich aufkommenden kritischen Hinterfragung der deutschen Kolonialpolitik. Schon bald stand das Kriegsgeschehen im Mittelpunkt aller Diskussionen und gefeiert wurde General von Lettow-Vorbeck, der Held von Deutsch-Ostafrika. 

August Kuhlmann kehrte auf seine Missionsstation nach Omaruru zurück und war dort bis 1939 im Missionsdienst tätig. Er wurde so zum „guten Geist“ der dortigen Ureinwohner. 

Eine der Höhepunkte seiner geistlichen Tätigkeit war die Taufe des Herero-Königs Christiaan Zeraua im Jahr 1934. Im Ruhestand übersetzte er das Alte Testament ins Herero, eine bleibende Leistung, für die er viel Anerkennung erhielt. August Kuhlmann verstarb am 30.08.1945 und wurde später auf den Friedhof von Omaruru beigesetzt. Sein Tod löste bei den Hereros große Trauer aus, was sich schon darin ausdrückt, dass sein Grabmal noch immer vorhanden ist. 

Kuhlmanns Missionshaus in Omaruru ist heute ein Museum. Gegenüber steht noch immer die alte Kirche, daneben der Friedhof der Herero-Häuptlinge. Enkelin Barbara Kuhlmann hat die Renovierung des Missionshauses vorangetrieben. 

Mit seiner zweiten Frau Elisabeth hatte August Kuhlmann neun Kinder. Hinzu kamen die Zwillinge aus erster Ehe: Erich Kuhlmann, Werner Kuhlmann, Margarete Kuhlmann, Herbert Kuhlmann, Helmut Kuhlmann, Erika Kuhlmann, Irmgard Kuhlmann, Ingeborg Kuhlmann und Armin Kuhlmann. 


Missionshaus in Omaruru. 

Mit Armin Kuhlmann, der als schwerverwundeter Hauptmann der Wehrmacht die Tochter Sabine von Annemarie Große-Brauckmann aus dem Mihlaer „Grauen Schloss“ kennenlernte und heiratete, schließt sich der Kreis unserer Betrachtungen. 

Rainer Lämmerhirt