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Stand Juli 2020
Unsere Dörfer in der Vergangenheit: Meist waren sie schutzlos gegen die häufigen Durchzüge fremder Kriegsvölker in den noch häufigeren Kriegen. Dieser Zustand blieb so bis zum letzten großen Krieg auf deutschem Boden vor dem 2. Weltkrieg, den deutsch-deutschen Bruderkrieg von 1866. Aber auch im Schlussstadium des 2. Weltkrieges nahmen die eigenen Soldaten ebenso wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wie die US-Streitkräfte. Die Werrabrücken in unserer Region oder die Zerstörung Creuzburgs am 1. April 1945 sind hierfür furchtbare Beispiele.
In dieser unendlichen Kette des Leidens unserer Vorfahren in den Kriegswirren der Vergangenheit ragt ein Beispiel heraus, wie die Mihlaer zur Selbsthilfe griffen und dabei sogar den Sieg errangen. Ich meine die „Schlacht im Artelsbach“ im Jahre 1713. Hier setzten sich die einfachen Bauern gegenüber einer Profitruppe von Söldnern erfolgreich durch und verjagten diese!
Dieser Stoff ist so spannend und beinahe unglaublich, dass man sich erst einmal die Augen reiben muss, um das Gelesene zu begreifen. Lassen Sie uns daher auf die Suche gehen nach dem tatsächlichen Geschehen im Oktober 1713…
Zunächst stieß ich auf eine Eintragung zu den Ereignissen in den „Heimbürgenrechnungen“ des Jahres 1714. Diese Rechnungen der damaligen „Bürgermeister“ sind beinahe vollständig im Mihlaer Ortsarchiv vorhanden. In ihnen stellten die immer für ein Jahr gewählten Heimbürgen, reiche Bauern, die die Ein- und Ausgaben der Gemeinde immer für ein Jahr organisieren mussten, hohe Ausgaben für einen Gerichtsstreit wegen der Mühlhäuser Soldaten ein.
Weiter wurde darauf verwiesen, dass der „Ausschuss“, die Mihlaer Kompanie der Landmiliz, dabei zum Einsatz gekommen sein und weitere Ausgaben an Pulver und Blei verursacht habe.
Aus den Heimbürgenaufzeichnungen wissen wir, dass die Angehörigen der Mihlaer Ausschusskompanie mit „blauen Röcken“ ausgerüstet und mit Piken, Degen und Musketen bewaffnet waren. Rekonstruktion der Ausschussuniform in Thüringen, Quelle: Rekozeichnung im Mihlaer Museum.
Über die Vorgänge am 20. und 21. 10. 1713 sind wir durch die Berichte des Mühlhäuser Fähnrichs Christian Kirchners, die Darstellung des Geschehens durch das harstallsche Gericht und den Briefwechsel zwischen der Landesregierung in Eisenach und dem Mühlhäuser Stadtrat sehr genau unterrichtet.
Prof. Jordan, profunder Kenner der Mühlhäuser Stadtgeschichte, schrieb hierzu einen ausführlichen Artikel im „Mühlhäuser Stadtanzeiger vom 2. Juni 1905 und bezog dabei auf das inzwischen digitalisiert einsehbare Material des harstallschen Gerichtes und den dazugehörigen Briefverkehr. So ergibt sich ein sehr anschauliches Bild über die Vorgänge dieser beiden Tage.
Was war also damals in Mihla geschehen?: Das Mühlhäuser Kontingent des dortigen Stadtregiments kehrte von der Teilnahme an einem der häufigen Reichskriege nach Mühlhausen zurück. Zur Teilnahme an solchen militärischen Einsätzen war die Reichsstadt Mühlhausen aufgrund ihres Status verpflichtet.
Nach den Verlusten und üblichen Desertationen waren ohne die Offiziere noch 56 Mann zusammen. Die Offiziere, ein Major Baron von Schmiedel, der das Kommando führte, und ein Leutnant Schuchardt, hatten ein letztes Nachtquartier der Truppe in Neukirchen mit der gothaischen Regierung ausgehandelt und sich dann zu Pferde in die Heimat abgesetzt. Den Befehl über die Kompanie sollte ein Fähnrich Christian Kirchner führen.
Es kam aber anders. Als die vom Marsch erschöpften Soldaten Neukirchen erreichten, hatten die Bauern aus Angst vor möglichen Plünderungen die Schlagbäume geschlossen und sich, wie der Fähnrich Kirchner später berichtete, „…mit Hacken und Schaufeln zur Wehr gestellt“. Sicher hatten die Neukirchner guten Grund zu dieser Haltung, offensichtlich ging der Mühlhäuser Truppe ein schlechter Ruf voraus.
Fähnrich Kirchner, von der Situation überfordert, schickte einen Boten in den nächsten größeren Ort, um dort Quartier bestellen zu lassen. Dieser Ort war nun Mihla. Die Mihlaer Wirte der „Schwarzen Herberge“ („Mohren“) und der „Roten Herberge“ („Schwan“) witterten ein gutes Geschäft und in Absprache mit dem Mihlaer Heimbürgen wurde ausgehandelt, dass gegen eine Barzahlung jeweils 12 Soldaten in den beiden Herbergen unterkommen sollten, der Rest sollte auf mehreren Bauernhöfen kampieren.
Gegen 21.00 Uhr trafen die Soldaten schließlich in Mihla ein. Ihre Stimmung war keine gute und so verhielten sie sich dann auch. Das ergab das Gerichtsprotokoll, in dem die Wirte der beiden Mihlaer Herbergen aussagten.
Aus der Waffenkammer des Mihlaer Defensionsausschusses, Museum im Rathaus Mihla.
Der Wirt der „Roten Herberge“ meinte, dass „…die Soldaten ganz zufrieden gewesen wären, wenn sie nur Bier hätten bekommen können, allein es sei keines im Dorfe gewesen…“ Drastischer drückte sich der Wirt des „Schwarzen Herberge“ aus, der ausführte, seine Einquartierung sei sehr unruhig gewesen, aber sie hätten ihm nichts zerschmissen und keine Schläge gegeben…“
Ob nun tatsächlich kein Bier im Ort war, gebraut wurde immer nur zu festgesetzten Tagen, oder ob die Mihlaer dies so angeführt hatten, um bei trunkenen Soldaten mehr Ärger zu verhindern, konnte nicht geklärt werden.
Noch schlechter war die Stimmung bei jenen Soldaten, die nicht in den Herbergen unterkamen und im Oktober im Freien vor dem Bauernhaus des Anspänners Klaus Stötzel, wohl in der Marktstraße (vermutlich auf dem „Kleinen Markt“) lagerten. Dort brannten gefährlich wirkende Lagerfeuer.
Am nächsten Morgen um 4.00 Uhr, nach einer unruhigen Nacht, war der Abmarsch befohlen.
Beim Abmarsch entbrannte nun rasch eine offene Auseinandersetzung um einen „Boten", welcher die Truppe durch den Hainich geleiten sollte.
Dies verweigerte der dafür verantwortliche Mihlaer Heimbürge, da es nicht abgemacht gewesen sei und das Verhalten der Mihlaer Gemeinde ja aus seiner Sicht bereits ein großes Entgegenkommen gegenüber der Kompanie gewesen sei.
Die Bauern nahmen bei der diesbezüglichen Aufforderung des Fähnrichs eine drohende Haltung ein. Als die Soldaten mit Gewalt einen Führer zwingen wollten und dabei begannen, im Dorf zu plündern und Bauern zu verprügeln, machte sich etwa ein Dutzend Männer auf und verfolgten das abziehende Kontingent.
Wie sich bei den späteren Untersuchungen herausstellte, war es wohl das Verlangen der Mühlhäuser Kompanie an die Gemeinde Mihla, einen Führer zum Weitermarsch nach Mühlhausen zur Verfügung zu stellen, an dem der Streit eskalierte.
Während der Fähnrich Kirchner zu Protokoll gab, er habe am frühen Morgen den Mihlaer Schultheiß um diesen Boten gebeten und dieser habe ihn an den Heimbürgern verwiesen, der das Verlangen rundweg abgeschlagen habe. Danach hätte er ohne weitere Anordnungen wegen des Botens den Befehl zum Abmarsch gegeben.
Anders berichteten die Mihlaer Bauern ihrem Gericht der Herren von Harstall. So der Anspänner Klaus Stötzel, vor dessen Anwesen auf dem Kleinen Markt ein großer Teil der Soldaten im offenen Biwak übernachtet hatten.
Stötzel war während der Ereignisse des Vortages nicht in Mihla und traf dort nach seiner Aussage erst am frühen Morgen ein. Das große Lagerfeuer vor seinem Haus habe ihn sehr beunruhigt und worüber „… er vor den Soldaten ereifert habe, worauf sie bald anspannen lassen… Am Tor (gemeint ist das Tor der Dorfbefestigung, auf Höhe der Kreuzung Marktstraße/Honiggraben) wären die Soldaten auf ihn zugekommen und mit Gewalt zum Bothen gehen nötigen wollen. Als er sich entschuldigt wider des Bothen-Gehens, das den Hintersiedlern zukomme, er aber sei ein Bauer, so wären gleich sechs über ihn gekommen, und mit Stöcken etliche gegeben, welche er noch heute fühle… “
Unklar bleibt, ob die inzwischen durch die Weigerungen der Mihlaer wegen der Bereitstellung eines Boten immer mehr in Wut versetzten Soldaten von sich aus Gewalt anwendeten oder ob der Fähnrich hierzu den Befehl gab. Unklar ist weiter, weshalb die Soldaten diesen Boten überhaupt benötigten, 18 Kilometer von Mühlhausen entfernt, oder ob es nicht eine reine Willkürmaßnahme war.
Die vollständig erhaltenen Mihlaer Heimbürgenrechnungen berichten über die damaligen Vorgänge in Mihla und im Artelbach.
Als der Abmarsch der Soldaten dann zu Gange kam, brachen diese in den Hof des Bauern Heinrich Fröbe ein. Sein Gehöft lag auf dem Wege und wohl etwas außerhalb der Dorfbefestigung. Dort verprügelten sie den Bauern und plünderten.
Noch war das Problem des Boten nicht gelöst. Entlang der Straße nach Mühlhausen erreichte der Voraustrupp der Soldaten das „Kleine Feldchen“, ein Ackerstück links der heutigen Landesstraße, dort, wo sich in etwa der Garten der Familie Gerald Lämmerhirt befindet. Auf dem Acker zog ein Knecht eines Mihlaer Bauern die Herbstfurche. Die Soldaten umstellten ihn und zwangen den völlig überraschten Knecht, den Boten und Führer nach Mühlhausen zu spielen.
Auf einem benachbarten Feld sah dies der Bauer Hans Hartung, wurde aber von den Soldaten nicht bemerkt. Hartung eilte auf seinem Pferd nach Mihla. Den Ort erreichend schrie er laut um Hilfe.
An dieser Stelle setzte nun der Bericht des Bauern Klaus Stötzel wieder an: „Nachdem er sich von den Soldaten befreit hätte, wäre Hans Hartung zu Pferde gejagt kommen, die Soldaten schlügen den Knecht auf dem Felde tot… “ Daraufhin seien er und acht weitere Männer „… nach dem Knecht gelaufen … und hätten den Knecht wieder erlanget… “
Anders die Auffassung über das Geschehene, was der Fähnrich berichtete. Er gab an, der Knecht hätte sich freiwillig erklärt, die Soldaten zu führen. Er habe ihn aber zur Bagage im Nachspann geschickt, da er sich inzwischen entschlossen hatte, der Kompanie selbst den Weg zu bahnen.
Soldaten plündern ein Dorf, Szene aus dem 30jährigen Krieg. Solche Bilder hatten die Mihlaer Bauern im Kopf und sie erklären auch ihr Verhalten gegen die Soldaten. Der „große Krieg! War erst 60 Jahre vorüber und die Eltern hatten viel erzählt von den damaligen Geschehnissen, Zigarettenbild, Museum im Mihlaer Rathaus.
Der zurückliegende Tross sei dann auf der Höhe der Einmündung eines Baches in den Werrafluss (Artelbach) von „… den Mihlaer Bauern angefallen worden, bei dieser Gelegenheit sei es zu einer Prügelei… gekommen… “ Schließlich sei der Knecht mit Gewalt von seinen Freunden zurückgeholt worden.
Er sei beim aufkommenden Lärm selbst zurückgeritten und habe seine beiden Pistolen abgeschossen. Die Mihlaer hätten sich davon aber nicht geängstigt gesehen und hätten die Kompanie weiterverfolgt.
Wenig später hätten dann „…einhundert Mihlaer die ebenfalls zurückgeeilten Soldaten am Artelbach erreicht und hätten die Reiter angefallen... “ Die Bauern führten Degen und Büchsen und gaben mehrfach Feuer auf die Soldaten. Kirchner meinte, allein auf ihn sei dreimal geschossen worden. Schließlich hätte man sich mit Hopfenstangen aus dem nahegelegenen Hopfenviertel der Gemeinde geschlagen, sieben seiner Leute wären von den Mihlaern gefangen genommen worden, andere „…wären übel tractieret… “
Einen anderen Ablauf gaben die Mihlaer Bauern zu Protokoll. So berichtete Klaus Stötzel, dass beim Nachstoßen zur Befreiung des Knechtes zuerst die Soldaten des Nachspanns handgreiflich geworden seien und mit Hopfenstangen auf die Bauern einschlugen. Hans Merten sei dabei schwer getroffen worden. Dann habe der Fähnrich und auch ein Sergeant das Feuer auf sie eröffnet, sodass sie Schutz hinter Steinhaufen suchen mussten. Erst nachdem Hans Eckert und weitere Mihlaer mit Gewehren erschienen seien, hörte „… ihre Bedrängnis…“ auf und die Soldaten begannen zu laufen und zu fliehen.
In Mihla hatten inzwischen die Frauen der zur Verfolgung aufgebrochenen Bauern die Regie übernommen. Conrad Hollermanns Frau war zum Schullehrer Senff geeilt, der in der Knabenschule beim Unterricht gewesen sei und habe diesen mit den Worten „…es solle gleich die Glocke angeschlagen werden, weil die Soldaten die Bauern alle todtschlügen…“, worauf der wackere Schullehrer gleich zum Pfarrer gelaufen sei und ihm dies anzeigte. Auch der Pfarrer habe das Glockenläuten nicht abgelehnt, verlangte aber die Einholung der Genehmigung durch den Gerichtsherrn von Harstall im Schloss dazu.
Dieser gab schließlich die Genehmigung zur Alarmierung des Mihlaer Ausschusses. Die Sturmglocke wurde geläutet, vom Lehrer selbst, und in kürzester Zeit waren über 50 Männer zusammen, die durch die Vorgänge beunruhigt sicher schon auf diesen Befehl gewartet hatten.
Hans Böttcher lief durch das Dorf und rief überall: „Laufet, wer laufen kann, mit Gewehr!“
Kurze Zeit später standen sich die bewaffneten Bauern und die Soldaten am Artelbach gegenüber. Heinrich Illert, ein Mihlaer, der erst vier Wochen zuvor aus den Diensten als Reiter eines Würtemberger Regiments entlassen war und als Soldat in holländischen Diensten militärische Erfahrungen gesammelt hatte und zudem auch deshalb im Dorf großes Ansehen, vor allem aber bei den Mitgliedern des Ausschusses genoss, sprach die Mühlhäuser Soldaten an: „Ihr Herren, das Werk lasset unterwegs, das ist nicht Soldatenmanier!“ Sein Vermittlungsversuch endete damit, dass ihn die Soldaten niederschlugen. Danach gab es kein Halten mehr. Wie beschrieben endete die wüste Prügelei mit Verletzten auf beiden Seiten, einem Feuergefecht und der Flucht der Soldaten. Sieben von ihnen mussten ins Mihlaer Gefängnis einziehen.
Das Verhalten gegenüber der Mühlhäuser Kompanie zeugt von erheblichem Selbstbewusstsein der Mihlaer, wohl auch von Zusammengehörigkeitsgefühl. Immerhin erscheint es bemerkenswert, dass die Angehörigen des Defensionsausschusses auch ohne harstallschen Befehl bereit waren, für die Interessen der Gemeinde die Waffe in die Hand zu nehmen. Überraschend ist auch die Haltung des Harstallschen Gerichts, welches das Vorgehen der Untertanen abschirmte und verteidigte.
Das gerichtliche Nachspiel endete damit, dass die „Gefangenen" schließlich entlassen wurden und das Gericht Mihla und das der Reichsstadt Mühlhausen gemeinsam die Kosten trugen. Dabei wurde der Aussage des Mihlaer Bürgers Heinrich Illert besonderer Wert zugemessen, da Illert erst vier Wochen zuvor von den Württembergischen Reitern entlassen worden war und versucht hatte, den Streit zu schlichten, er wurde von den Soldaten niedergeschlagen und griff dann auch zum Degen.
Interessant eine weitere mehrfach geäußerte Protokollnotiz, nach der Fähnrich Kirchner die Hauptschuld an den Vorgängen trug, wobei von ihm im Kampf „nichts gehört habe… “
Dies trifft wohl den Nagel auf den Kopf und macht deutlich, dass es auch in früheren Zeiten ab und an einmal so etwas wie Gerechtigkeit gab.
Rainer Lämmehirt
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