Vor 75 Jahren: Unsere Heimat wird Kriegsgebiet

Die letzten Wochen

In diesem Jahr sind 75 Jahre vergangen, seitdem das 3. Reich unterging. Was sich zurzeit der Machtergreifung von Hitler niemand vorstellen konnte, trat nun ein. Der Krieg kehrte dorthin zurück, von wo er ausgegangen war. Deutschland wurde Kampfgebiet. Während im Osten um jedes Dorf und um jede Stadt fanatisch gegen die Rote Armee gekämpft wurde, war im Westen, in Hessen und Thüringen, eine andere Situation. Hier rückten die US-Streitkräfte an und die Menschen hofften auf einen „milden“ Umgang. Das traf auch auf große Teile der völlig demoralisierten Wehrmacht zu. Nur dort, wo fanatische Offiziere das Kommando führten, wurde Widerstand geleistet. Selbst viele Offiziere handelten entgegen ihrem Eid nach ihrem Gewissen und versuchten im letzten Moment, den Kampf bis zum letzten Mann, der von der Führung verlangt wurde, zu umgehen. Aber es war gefährlich, denn SS, Gestapo und überzeugte Nazis waren überall unterwegs.

Mitte März wurde klar, dass das Werratal bald Kampfgebiet werden würde. Die 3. US-Armee unter General Patton hatte den Rhein überwunden und stieß mit hunderten Panzern durch Hessen in Richtung Thüringen vor. Und in Mihla lag eine Panzerjägerausbildungskompanie, die Ende März sogar über mehrere Jagdpanzer und Geschütze verfügte…

Was geschah damals?

Der Zusammenbruch der Ostfront im Verlauf des Jahres 1944 und die Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 führten in unseren Orten allmählich auch zu einem Stimmungsumschwung unter der Bevölkerung. Kaum jemand glaubte nun noch an den „Endsieg“. Die Flüsterpropaganda um die „Wunderwaffen“ ließ zwar immer noch einmal frischen Mut aufkommen, aber die immer häufiger eintreffenden Todesmeldungen von der Front führten schließlich die meisten Familien in regelrechte Lethargie.

Im Herbst 1944 vermerkte Pfarrer Mitzenheim in der „Kriegschronik“ bereits 76 Gefallene, 14 Vermisste und 12 Mihlaer, die in Gefangenschaft geraten waren. Die schwersten Kriegsopfer standen aber noch bevor. Vom Oktober bis zum Kriegsende im Mai 1945 sollten nochmals etwa 70 Mihlaer den Tod auf den Schlachtfeldern finden!

Als das Jahr 1945 begann, standen die amerikanischen Truppen schon am Rhein, die Sowjets drängten zur Oder. Deutschland wurde Kriegsschauplatz und erstmals machte man sich Gedanken darüber, was werden würde, wenn der Feind bis nach Thüringen vordringen würde.

Im September 1944 war zum Volkssturm aufgerufen worden. Nach dem Vorbild der preußischen Befreiungskriege von 1813 sollten alle waffenfähigen Männer vom 16. bis zum 65. Lebensjahr an den Waffen ausgebildet werden. In Mihla erhielten etwa 40 Einwohner den Einberufungsbefehl zum Volkssturm. Der Ortsgruppenleiter überwachte persönlich die Aufstellung und die nun beginnende Ausbildung an italienischen Karabinern, für die kaum Munition vorhanden war, und an den Panzerfäusten. Bis zum Frühjahr 1945 wurden etwa 90 Mihlaer im Volkssturm erfasst und ausgebildet.

Im März 1945 erreichten neue Nachrichten den Ort. Die Amerikaner hatten den Rhein überschritten und drangen in Hessen ein. Nun drohte es Gewissheit zu werden: Der Krieg in der Heimat stand unmittelbar bevor.


Das Kriegerdenkmal aus dem 1. Weltkrieg, Schauplatz der letzten Kundgebung der NSDAP zum Heldengedenktag 1945 im Ort, Aufnahme aus dem Winter 1944/45 (Museum Mihla).

Zum „Heldengedenktag“ im März 1945 fand die letzte große Veranstaltung der NSDAP im Ort statt. Am Gefallenendenkmal des 1. Weltkrieges forderten NS-Redner die Einwohner zum „Kampf bis zum Sieg“ und zur „unbedingten Treue zum Führer“ auf. Panzersperren sollten errichtet werden, um ein überraschendes Vordringen der Amerikaner aufzuhalten. Am Ende stand die Forderung „Wir werden niemals kapitulieren!“ und das Lied „Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauschen...“


16. März 1945: „Heldengedenktag“ in Mihla. Die Kompanie der Panzerjägerausbildungsabteilung steht vor dem Denkmal der Gefallenen des 1. Weltkrieges „unter Gewehr“. Dazu die Offiziere.

Ortsgruppenleiter und Bürgermeister halten ihre letzten Propagandareden. 14 Tage später waren die US-Soldaten in Mihla und sieben der Soldaten gefallen sowie gut 10 verwundet…

Die rauschten in der Tat. Schon wenige Tage später, immer noch trafen täglich die Nachrichten über weitere Gefallene an allen Fronten ein, konnte man den Kanonendonner vernehmen, der von Westen herandrang. Ende März erfasste fieberhafte Aktivität die Naziführung im Ort. Während die einen begannen, Papiere zu verbrennen und Vorräte anzulegen, mobilisierten andere den Volksturm und begannen gemeinsam mit den Offizieren der im Ort stationierten Wehrmachtseinheit Verteidigungspläne auszuarbeiten und Befestigungen anzulegen.

Ende März 1945 hielt sich Kreisleiter Hermann Köhler in Begleitung höherer Offiziere im Ort auf. Es war zu erfahren, dass die Amerikaner an der Werra aufgehalten werden sollten. Der Fluss sollte Hauptkampflinie werden, die „Werralinie“ sollte das Bollwerk des Gaus Thüringen sein. Wenig später erreichten deutsche Pioniereinheiten den Ort. In aller Eile wurden an den letzten Märztagen alle Brücken, die Straßenbrücke über die Werra, die Eisenbahnbrücke und die Brücke über den sogenannten „Viadukt“, mit Sprengladungen versehen. Der Kampf um Mihla stand unmittelbar bevor.

- Lämmerhirt -