Die Luftschlacht vom 27. September 1944 über Thüringen und Hessen ? Teil 6

Das Massaker beginnt

- Von Eberhard Helbig-

Im September 1944 kam es über Thüringen und Hessen zur letzten großen Luftschlacht zwischen US-Bombergeschwadern und deutschen Jägern, die aus vielen Zufällen heraus den angreifenden Bombern nochmals schwere Verluste zufügen konnten.

Eberhard Helbig, Luftkriegsforscher aus Eisenach, berichtet hierüber:

Die Kampfhandlungen dehnten sich nach dieser ersten Phase  zwischen Nazza und Krauthausen, in der das Abwehrfeuer der Bomber der IV. Sturm/JG 3 die ersten Verluste beigebracht hatte, schnell auf ein Gebiet aus, dass von Nesselröden, Ulfen, Herleshausen,  Gerstungen,  Richelsdorf  bis ins Werratal bei Lauchröden reichte.

Inzwischen waren auch  amerikanische Jäger aufgetaucht und die Schlacht nahm an Dramatik und Härte für beide Seiten zu. An diesem Tag regnete es nicht aus der geschlossenen Wolkendecke,  sondern  unzählige Teile von explodierten Flugzeugen, Ausrüstungsgegenständen, lebende und tote Flieger.

Reste der Tragfläche einer B-24. Museum  Helbig.

 

Lt. Bolins Abschuss in Krauthausen war nur der Anfang für die Amerikaner und weitere B-24 sollten in kurzer Zeit folgen. Ernst Schröder, II. Sturm/JG 300, der an diesem Tag zwei B-24 abgeschossen hatte, beschreibt die Situation  wie folgt: ?Ich umkreiste die Wracks meiner Gegner in großen Spiralen und verringerte die Flughöhe stetig. Aber meine Aufmerksamkeit wurde durch die furchtbaren Ereignisse um mich herum ständig abgelenkt. Überall sah man Flieger, die am Fallschirm hingen und Richtung Erde schwebten. Ebenso tauchten kleine und große Trümmerteile von Flugzeugen vor meinem Cockpit auf, denen ich mit 600 bis 700 km/h entgegen raste. Ich schloss  meine Augen des öfteren, weil ich befürchtete mit einem dieser Trümmer zusammenzustoßen. ?Dieses Szenario macht  die Beweislage für erbrachte Abschüsse ebenso schwierig, wie die Erstellung einer lückenlosen und fehlerfreien Chronologie des  Luftkampfes. Nur so ist auch der große Unterschied bei den gemeldeten Abschusszahlen erklärbar.

Die deutsche Seite beanspruchte 72 Luftsiege, davon 65 viermotorige Bomber. Tatsächlich gingen auf amerikanischer Seite 29 B-24 ?Liberator? und eine P-51 ?Mustang? verloren sowie 29 Jagdflugzeuge auf deutscher Seite. Die amerikanischen Begleitjäger beanspruchten davon 25 Abschüsse und die Besatzungen der Bomber fünf sichere Luftsiege, was in etwa stimmt. Ernst Schröder kam an diesem 27. September 1944 mit seiner Gruppe von der Luftwaffenbasis  in Finsterwalde, obwohl die Heimatbasis Erfurt-Bindersleben war. Sie wurden wegen der völlig geschlossenen Wolkendecke von einem Bodencontroller an den Bomberstrom herangeführt, konnten diese aber lange nicht finden. Als der Controller deswegen schon ungehalten war, weil sie seinen Daten und Informationen nach genau vor ihnen sein mussten, entdeckten sie schließlich die Bomber. Sie kamen näher und näher und plötzlich gingen einige der großen Maschinen in Flammen auf oder explodierten. Sie selber hatten noch nicht einen Schuss abgegeben. Folglich hatte eine andere Jägergruppe mit dem Angriff bereits begonnen.

Die, die es erlebt hatten, sind noch heute erstaunt darüber, dass durch die vielen umherschwirrenden Geschosse und Flugzeugteile niemand am Boden zu Tode kam. Verletzte am Boden gab es schon, aber zu einem späteren Zeitpunkt. Der gesamte Luftkampf dauerte gerade einmal 6 Minuten. In diesen verloren 137 junge Menschen ihr Leben, wobei sich dieses Geschehen  in einem Gebiet mit einem Radius von nur 16 Meilen abgespielt hat!

 

Wieder vermittelt der Erlebnisbericht von Ernst Schröder einen kleinen Eindruck dieser  Ereignisse: ?Mein Gruppenführer und ich hatten ein neues Zielgerät in unseren Maschinen installiert, das sehr schnell laufende Kreisel-Kompasse enthielt und eine automatische Zielbestimmung in kürzester Zeit möglich machte. Damit konnte man viel genauer und effektiver schießen, noch dazu aus viel größerer Entfernung als gewöhnlich. In meinem Fall war das Ergebnis sehr beeindruckend. Bevor ich meinen Bomber erreicht hatte, stand dieser bereits in Flammen als Ergebnis des Beschusses meiner sechs Bordwaffen. Beide Motoren auf der linken Seite brannten. Das Flugzeug legte sich auf die linke Seite und stürzte ab. Auch die Nachbarmaschine rauchte schon von einem früheren Treffer. Ich änderte rasch die Daten in meinem  Zielgerät, schoss  und der Bomber fing Feuer.  Die neuen Zielgeräte funktionierten erstaunlich gut. Ich war überrascht und fasziniert zugleich. Eine Weile flog ich an der Seite meines Opfers und konnte beobachten, wie das Feuer  vom gesamten Rumpf des ?Liberator? Besitz ergriff und meterhohe Flammen die Maschine einhüllten. Dann legte sich diese große Maschine schwerfällig auf den Rücken und ging nach unten.?

Für die Anerkennung seiner beiden Luftsiege musste er genaue Angaben über den Ort der Abschüsse machen. Dazu musste er tiefer gehen um unter den Wolken nach möglichst eindeutigen, wieder erkennbaren Landmarken zu suchen.

?Unter mir schimmerte bereits die Erdoberfläche durch die Wolkenschleier, die sich bis in eine Höhe von 1000 Meter erstreckten. Nachdem ich die Wolkenbänke durchflogen hatte, sah ich unter mir ein kleines Tal mit waldbedeckten Hügeln. Durch das Tal schlängelten sich zwei Eisenbahnstrecken und auf einer von ihnen stand ein Zug. Er stand, denn der Rauch der Lokomotive stieg senkrecht in den Himmel. Dieses Bild habe ich bis heute in Erinnerung. Doch wo waren meine Bomber niedergegangen? Überall lagen brennende Wracks herum und jede Menge weiße Fallschirme bedeckten die Felder. Sie stammten von amerikanischen und deutschen Fliegern, die dort gelandet waren. Als ich in etwa 100 Meter Höhe über sie hinweg flog blieben einige der Flüchtigen stehen und hoben die Hände. Auch sah ich Soldaten und Polizei auf sie zulaufen, die sie gefangen nehmen wollten. Doch plötzlich wurde meine Suche nach den Aufschlagstellen der Bomber sowie meine Aufmerksamkeit je unterbrochen. Im Augenwinkel sah ich etwas auf mich zurasen und schießen. Es war eine amerikanische P-51 mit gelber Motorverkleidung. (Die sogenannten ?Gelbnasen? waren Jagd-Maschinen der 361st Fighter Group, die am 28.September den letzten Einsatz vor der Verlegung nach AAF Station F-165, Little Walden, Essex, von Bottisham, England flog. )

 

US-Jagdflugzeug P-51 der 361st Fighter Group, Material Helbig.

 

Wir rasten aufeinander zu, aneinander vorbei, drehten und das Spiel begann von neuem. Es war fast so wie es die Ritter im Mittelalter machten. Aber auf einmal hatten meine Bordwaffen Ladehemmung und ich war gezwungen wilde Ausweichmanöver zu fliegen, um dem Amerikaner das Zielen zu erschweren. Nach einigen wütenden und wilden Vorbeiflügen entschloss ich mich mein Glück nicht länger herauszufordern und steuerte meine Maschine in Bodennähe. Dort, so hoffte ich, würde der Amerikaner mich durch meinen Tarnanstrich aus den Augen verlieren.  Ich flog so niedrig es möglich war und hatte Glück. Der Amerikaner hatte mich verloren. Durchgeschwitzt und erschöpft landete ich gegen 11.30 Uhr in Langensalza, wo bei einer ersten Inspektion leichte Beschussschäden am Heck meiner FW-190 sichtbar wurden. Sie waren aber so gering, das ich einen Weiterflug nach Erfurt ? Bindersleben machen konnte, welches ich gegen 12.15 Uhr erreichte.?    

Ein gefährliches Unterfangen, denn zu dieser Zeit hatten sich die ?dogfights?, die Kämpfe Jagdflugzeug gegen Jagdflugzeug, von Eisenach in den Luftraum von Gotha verlagert. (Der Begriff ?dogfight? ist Fliegersprache, entstanden aus der subjektiven Wahrnehmung von Beobachtern von Luftkämpfen  vom Boden aus, für die die Verfolgungsjagd zweier Flugzeuge am Himmel der Jagd von zwei Hunden ähnelt, die sich gegenseitig hetzen und verfolgen). Ernst Schröder ahnte von dieser Situation nichts, obwohl ganz in der Nähe bei Gräfentonna  sein Kamerad Oblt. Hermann Kölling, ebenfalls II. JG 300 in seiner FW 190 A8, ?Gelbe 5? ums Leben kam.

Kölling(geboren am 28.12.1919) wurde in Bad Langensalza beigesetzt. Das Grab wurde später, wie viele andere auch, entgegen internationaler Gepflogenheiten von ?geschichtsfreien Gestalten?  der ehemaligen DDR eingeebnet.  Diese eingeebneten Gräber waren Gräber von verführten und betrogenen Opfern! - nicht von Tätern. 

Das Urteil über die Täter wurde in Nürnberg gesprochen oder sie entzogen sich ihrer Verantwortung durch Flucht und Selbstmord.

Ernst Schröders FW-190 war eine schwer gepanzerte FW-190 A8/R8 mit einem 1800 PS starken BMW 801 Motor sowie 4 MG 151 und zwei weiteren MG 131. Sie hatte die taktische Kennung ?Rote 19? und den Spitznamen ?Kölle Alaf?, denn Ernst kam aus Köln und war ein Faschingsbegeisterter. In einem Brief grüßte er einmal mit ? Ihr Jecke Schröder us Kölle?. Auch die andere Seite des Flugzeuges trug einen Namen, den seiner Jugendfreundin Edelgard.  

Nach dem Krieg, den Ernst Schröder im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden überlebte, war er als Architekt in seiner geliebten Heimatstadt Köln tätig und engagierte sich sehr aktiv bei Veteranentreffen für die Aussöhnung mit seinen ehemaligen Gegnern.

Wie aus der Schilderung von Ernst Schröder hervorgeht, war das von ihm erlebte nicht der erste Akt dieses Luftkampfes. Eine andere Gruppe war bereits vor ihnen da. Die vielen von ihm gesichteten Fallschirme am Boden lassen  darauf schließen, dass es sich um eine Landschaft ganz in der Nähe von Eisenach gehandelt haben muss. Hier gingen  die meisten Bomber zu Boden und viele Gefangene wurden gemacht ? und es gab und gibt dort eine doppelte Eisenbahnlinie. Ähnliche Beschreibungen wie die von Ernst Schröder sind ebenfalls von amerikanischen Fliegern abgegeben worden.

Deutsches Jagdflugzeug Focke-Wulf 190 A( "Kölle Alaf" von Pilot Ernst Schröder, Modell Museum Helbig.

 

Ernst Schröder mit Kameraden rechts, Material Helbig.

 

Auch in T/Sgt. Doye Lindsay O`Keefe`s  Leben sollte diese Eisenbahnlinie bald einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.  Doye war ?radio operator?(Funker-Rufzeichen: P ?Peter?) der B-24-J; CF #  44-10497; P+IS mit dem Piloten Lt. Ralph Pearson. Sie gehörten zur 700 BS, die an diesem Tag mit neun weiteren Flugzeugen die Lead Squadron, die Führungsgruppe, bildeten. Pearson nahm innerhalb der Squadron die Position 7 ein, also hinter Chilton und Hunter und vor Carrow und Hansen. Die Besatzung bestand weiterhin aus dem Co-Piloten 2nd Lt. Nelson Dimick, dem Navigator 2nd Lt. Arthur Stearns, den Bomberschütze F/O Henry Henrickson, den linken und rechten Seitenschützen S/Sgt. Harry Tachovski sowie S/Sgt. John Loving, dem Bordtechniker T/Sgt. Robert Johnson und dem Heckschützen S/Sgt. Dwight Galyon.

Doye O`Keefe war ein gewiefter junger Mann und hatte schon einen Absprung hinter sich  - aus Versehen! Mission 16 - am 4. August 1944 nach Scherine, Frankreich, mussten sie abbrechen, weil Motor Nummer 1 nicht funktionierte. Das geschah gerade in der Phase als sich hunderte Flugzeuge zum Verband formieren wollten ? eine selbst ohne technische Probleme gefährliche Situation. Sie verloren an Höhe und Ralph Pearson hatte alle Hände voll zu tun die Maschine zu stabilisieren. Mitten in diesem Chaos kam der Bordtechniker und Pearson nickte ihm nur zu. Es führte zu dem Missverständnis, das Johnson dies für das Signal zum Absprung hielt. Der Heckschütze Galyon rief  über das Intercom: Hey, ich sehe hier zwei Fallschirme. Pearson hatte in diesem Moment jedoch andere Sorgen.  Er musste das Flugzeug aus der Gefahrenzone heraus auf eine Höhe von 10.000-12.000 Fuß bringen, in der die Wahrscheinlichkeit mit anderen zu kollidieren geringer war. Danach musste er über den Kanal, um seine Bomben loszuwerden und mit nur drei Motoren anschließend versuchen  nach Tibenham zu gelangen. Er hatte schon nicht mehr an die zwei Fallschirme gedacht, als er auf der Basis landete. Zur Überraschung aller kamen die zwei ?Fallschirmspringer? nach ihrer Landung in einem Jeep, mit ihren zusammengefalteten Schirmen und waren damit befasst  zwei große Tüten Eis zu verputzen. Sie waren früher in Tibenham zurück als ihre angeschlagene Maschine. Doyes nächster Absprung während der Mission 29 seiner Squadron und der 169. der 445th BG sollte kein Happy End haben, jedenfalls kein schnelles. Er musste nur noch zweimal fliegen und hätte dann nach Hause zurückkehren dürfen.

Sie waren auf dem Rückflug und alles schien in bester Ordnung zu sein, als plötzlich Pearson über das Intercom rief: ?Bandits at Six?, was bedeutete Feindmaschinen von hinten. Schon schlugen Geschosse vom Kaliber 20mm und 40mm mit ohrenbetäubendem Lärm in das Flugzeug ein und explodierten. Es waren hunderte Geschosse die das gesamte Flugzeug trafen und buchstäblich zersiebten. Rauch breitete sich überall aus. An der rechten Tragfläche war bereits austretender, hochexplosiver Flugzeugtreibstoff zu sehen, der langsam in Richtung Bomb Bay kroch. Feuerlöscher waren jetzt sinnlos. Es blieb nur eine Option, der Absprung. O`Keefe machte das einzig richtige. Er öffnete die Bombenklappen der Bomb Bays für den Absprung solange das noch möglich war. Elektrik und Hydraulik funktionierten - noch!  Die 5 Sekunden, die das Öffnen brauchte kamen ihm wie eine Ewigkeit vor und mehr Zeit verblieb ihnen auch nicht. Mehrere Treffer zerfetzten das Cockpit - Elektrik weg, Hydraulik weg. Das Flugzeug war tot und einige Besatzungsmitglieder vermutlich ebenfalls. Jeder war von nun an auf sich alleingestellt und die Hitze wurde immer größer. Er hielt die Luft an und sprang aus 22.000 Fuß (7300 Meter) Höhe um sein Leben. Er schildert die folgenden Ereignisse, die er nie vergessen wird: ?Ich sprang mit dem Kopf zuerst? Öffne den Schirm nicht! Denk daran öffne den Schirm nicht! Ich überschlug mich mehrmals, rollte um meine Achse und stürzte weiter. Ich breitete meine Arme und Beine aus um meine Geschwindigkeit abzumindern. Verlor einen meiner Fliegerstiefel. Rollte in Rückenlage und sah nach oben. Dort etwas vor und über mir flog unsere Maschine? öffne bloß nicht den Fallschirm! Ich sah dem Flugzeug nach, wo mittlerweile am rechten Flügel Feuer austrat. Ebenso brannten die Bomb Bays. Sah zwei Fallschirme, wusste aber nicht wer es war. Ich legte mich etwas nach rechts, um von der Formation wegzukommen. Da kollabierte die rechte Tragfläche und stürzte brennend und dröhnend ab.?  Um ihn herum wurde geschossen, brennende Flugzeuge gingen zu Boden.

Flugzeugteile, Trümmer aller Art, Fallschirme stürzten massenhaft der Erde entgegen. (wie es auch Ernst Schröder beschrieben hatte). Alles dauerte nur wenige Minuten. Er war jetzt unterhalb der Wolkendecke und es war Zeit den Fallschirm zu öffnen und er zog die Leine.

?Ich konnte Felder sehen? Dann Bäume, eventuell Kiefern und da waren Eisenbahnlinien, ein kleines Gebäude und weise Hühner rannten umher? Ich landete in einem gepflügten Feld? Machte mich bereit zum Aufsprung und Abrollen. Es klappte wunderbar .Niemand war zu sehen. Ich schnappte meinen Schirm und rannte etwa 70 Meter bis zu den Bäumen. Ich sah mich um, während ich mein Gurtzeug abschnallte, das ich unter einen Busch warf? und rannte so schnell ich konnte den Berg hinauf. Oben angekommen fand ich ein Gebüsch, kroch darunter, um mich zu verstecken und Luft zu holen. Ich schaufelte mit meinen Händen ein Loch, in welchem ich meine Kamera vergrub (dort liegt sie wohl noch heute), schnallte meine ?Mae West? (Schwimmweste) ab und untersuchte mich nach eventuellen Verletzungen? Soweit war alles gut gegangen? Niemand hatte mich gesehen. Nahm meine K-rations (eiserne Ration), steckte sie in die Tasche und ging los. Man, das war ein weiter Weg bis Centralia (sein Heimatort) und niemals fühlte ich mich so einsam und alleine wie dort.?

Er dachte an das letzte Jahr zu Hause, an seine Mutter Glenna, die ihm am 18. Oktober 1921 in Sunfield, Baily Lane, Illinois das Leben geschenkt hatte und an seine Frau Sara Jane. Wie würden sie reagieren, wenn sie bald das WESTERN UNION Telegramm erhalten mit der Nachricht: ?Doye Lindsay O`Keefe wird über Deutschland vermisst.? Seine Mutter hatte ihm gesagt, vergiss nie den Psalm 91 zu beten, dann wird dir nichts geschehen. Bis jetzt hatte sie Recht. Unter das Heimweh mischten sich die Erinnerungen an den letzten Sommer 1942 zu Hause. Sie waren oft tanzen und mit Freunden zum Angeln und Jagen. Würde es das letzte Mal gewesen sein? Auch seine Freunde waren im Krieg ? in Europa oder im Pazifik. Würden sie sich je wiedersehen? Er zwang sich positiv zu denken. Er musste als erstes aus dieser Gegend verschwinden. Die Vögel zwitscherten und sangen. Das bedeutete, er war allein, niemand war in der Nähe. Er fand ein Schild an einer Autobahn die er bereits bei seinem Absprung vom Fallschirm aus gesehen hatte, auf dem stand ?KASSEL 120 KM?. Er konnte seinen Standort bestimmen und beschloss bei einsetzender Dunkelheit sich Richtung Westen auf den langen Weg nach Hause zu machen. Als es dunkel war, verlies er sein Versteck und erreichte bald eine Eisenbahnstrecke. Er kletterte in einen Güterzug der Richtung Westen fuhr und als dieser einmal hielt, sah er auf dem Nachbargleis einen anderen Zug stehen, der mit nagelneuen Panzern und Halbkettenfahrzeugen beladen war. In der Hoffnung, dass diese an die Front nach Frankreich gebracht würden wechselte er schnell sein Versteck und verkroch sich in einem der gepanzerten Fahrzeuge. Er machte ein Streichholz an um seine Umgebung zu sehen und begann zu schlafen .Als es hell wurde und der Zug in einem Bahnhof stoppte, hielt er es für besser den Zug zu verlassen, weil er Kontrollen befürchtete. Das war ein Fehler, denn dabei wurde er beobachtet und so kam es wie es kommen musste. Er wurde in der Nähe von Göttingen, wo sie vor kurzer Zeit irrtümlich ihre Bomben abgeworfen hatten, gefangen genommen.

Es folgte die Befragung in Oberursel, die Kriegsgefangenschaft und nach dem das Lager STALAG LUFT IV in Grosstychow, Polen, wegen der heranrückenden Front aufgelöst worden war, der sehr lange Marsch Richtung Westen. Nach über 600 Km entbehrungsreichem Fußmarsch wurden sie am 26. April 1945 bei Bitterfeld von der 104th Timber Wolf Infantry Division aufgegriffen, unterernährt, dreckig und verlaust ? aber glücklich endlich wieder frei zu sein. Psalm 91 hatte ihm geholfen. Gerne erzählte er die Geschichte von seiner Gefangennahme, die ihn nicht davon abgehalten hatte Streiche auszuhecken. Die Schachtel Streichhölzer, mit deren Hilfe er seine Umgebung in dem dunklen Halbkettenfahrzeug ausgeleuchtet hatte, lies er bewusst darin zurück und versuchte amüsiert sich die verdutzten Gesichter von ?Fritz? oder ?Hans? vorzustellen als diese in ihrem nagelneuen Fahrzeug eine Schachtel Streichhölzer mit der Aufschrift ?The Top Hat Club? London, England fanden. Doye starb im Alter von 90 Jahren, am 11. Januar 2012 in Rock Island, Illinois.

-wird fortgesetzt-

 

 

Mihla, 22. 01. 2014