1756 Aus alten Zeiten…Die ersten industriellen Gewerbe in Mihla - Von Wachstuch- und Zigarrenfabriken 

Die ersten Anfänge der industriellen Entwicklung in Mihla fallen in die Zeit des Siebenjährigen Krieges (1756-1763). Erstaunlich, aber in den Akten der Mihlaer Rittergüter und des von harstallschen Gerichtsdirektors Auerbach, einem wirtschaftlich denkenden Eisenacher, geht es immer wieder um den Versuch, in Mihla eine Wachstuchfabrik zu errichten. 

Auerbach ging es in erster Linie darum, die desolate wirtschaftliche Situation des Rittergutes Graues Schloss zu sichern und zu verbessern. Aufgrund seiner Ausbildung war er dabei auf ähnliche Unternehmen in anderen Orten Thüringens gestoßen und offenbar konnte der Georg Ludwig Ernst von Harstall, einen auch in anderen Sachlagen erstaunlich beweglichen Altadligen von seinen Ideen überzeugen. 

1760/61 begann das Experiment in Mihla eine Wachstuch- und Leinenfabrik einzurichten. Wie Auerbach in einem Bericht an die Regierung im Mai 1761 darstellte, hatte er einige „Fabrique Leuthe anzunehmen müssen ...“ (Bericht bei Eisenacher Polizei-Akten, Staatsarchiv Weimar, Nr. 676), weil die meisten Arbeiter in den Sommermonaten als Schnitter auf den harstallschen Gütern arbeiteten. Offensichtlich handelte es sich um Tagelöhner ohne feste Anstellung. 

Wie Auerbach weiter ausführte, waren viele Aufträge von „fremden Orten“ eingegangen, was ihn bewogen hatte, den Ruhlaer Handelsmann Malsch als Lieferanten für Garn und Farbenmaterialien als Partner zu gewinnen. 

Die Initiative Auerbachs stieß bei der Regierung auf wenig Verständnis. Die fürstliche Handelskammer in Eisenach, vor allem der Hofagent Bohl, befürchteten, ihre eigenen Monopolstellungen in diesem Gebiet zu verlieren. Der Antrag Auerbachs zur Zahlung eines Kredits von 800 Reichstalern wurde daher nicht unterstützt. Zudem war die wirtschaftliche Situation im sechsten Jahr des 7jährigen Krieges äußerst ungünstig. 

Leider erfahren wir aus den Akten nicht, wo diese erste Mihlaer „Fabrik“ produzierte, zu vermuten ist, dass dies in den Wirtschaftsgebäuden des Rittergutes geschah. 

Wir kennen zwar keine weiteren Informationen, es ist aber davon auszugehen, dass Auerbachs Versuch schon bald scheiterte. Bereits 1763 war es dann schon vorbei und die Fabrik stellte ihre Tätigkeit ein. 

Sicherlich gab es auch Auswirkungen auf die Gutswirtschaft. Das Scheitern der Wachstuchfabrik ist insgesamt eingeschlossen in eine rasche Verschlechterung der gutsherrschaftlichen Situation in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 

Viele Jahre vergingen, ehe dann mit den ersten Zigarrenfabriken erneut neue Produktionsmethoden in Mihla Einzug hielten. Um 1880 stellten die Handwerker noch immer einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung.

In jenen Jahren wurden drei Bäcker, drei Böttcher, zwei Drechsler, ein Korbmacher, drei Leinenweber, drei Maurer, vier Müller, ein Barbier, zwei Fleischer, sechs Gastwirte, ein Sattler, ein Schlosser, vier Schmiede, vier Schneider, sechs Schuster, vier Stellmacher, sieben Tischler, drei Tüncher und Dachdecker sowie zwei Zimmerleute, also insgesamt 63 Familien, genannt. 

Die für die Bewohner wichtigen Bäckereien befanden sich „am Anger“ (Gemeindebäckerei, älteste erhaltene Backordnung aus dem Jahre 1767), auf dem „Münster“ und „im Winkel“. 

Neben den traditionellen Gasthöfen „Zum Mohren“ und „Zum Schwan“ war noch das „Deutsche Haus“ an der Eisfeldstraße hinzugekommen. 

Sogenannte Restaurationen, Gaststätten ohne Übernachtung, waren mit den Gaststätten Stein, Wieditz (später „Werrablick“), Trabert (Marktstraße) und schließlich der „Goldenen Aue" (1908) entstanden.

Wichtig vor allem für die Bauern waren die Dorfschmieden, von denen sich eine am „Markt“, eine „Am Anger“ sowie zwei „Am Bach“ befanden. 

Mit der Ernennung Heinrich Adam Böttgers (Neustadtstraße) zum Postkollektor in Mihla am 28.3.1860 durch die großherzogliche Regierung verbesserte sich auch die im Zeitalter der Industrialisierung so notwendigen postalischen Verbindungen. Schon 1866 erhielt die Poststube einen ersten Briefkasten. 

Zurück zu den ersten Versuchen, industrielle Fertigungen in Mihla aufzubauen. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts setzte sich die bereits in den benachbarten Orten und im Eichsfeld beheimatete Zigarrenindustrie auch in Mihla fest. Ohne Vorläufer zu haben, war dieser Industriezweig typisch für jene Gebiete, die abseits industrieller Zentren lagen. Hier gab es genügend Arbeitskräfte, die mit wesentlich geringeren Löhnen als in den Industriezentren zufrieden waren. 

Am 10.7.1864 ließen die Mihlaer Justinius Wiener und Gottfried Illert die erste Zigarrenfabrik in das Handelsregister eintragen. Justinius Wiener sah darin eine Möglichkeit, rasche Gewinne zu machen. Nachdem er bereits 1851 einen wirtschaftlichen Ruin hatte durchmachen müssen, sollte er diesmal auf die richtige Karte gesetzt haben. 1867 übernahm er noch eine Feuerversicherungsagentur im Ort, so dass sein Geschäft bald guten Gewinn abwarf. 

Dem Beispiel der ersten Mihlaer Zigarrenfabrikanten folgten bald weitere. Eisenacher, Treffurter, Mühlhäuser und später auch Firmen aus Kassel und Bremen ließen Zweigfilialen einrichten. 1880 arbeiteten die Firmen H. Eisenhardt (Treffurt) und Fr. Riedel (Mühlhausen) im Ort. Schon wenig später entstanden weitere Fabriken. 

Viele Versuche, meist nur mit den Mitgliedern der eigenen Familie begonnen, gingen schon bald wieder ein; einige jedoch hatten Bestand. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges arbeiteten zeitweise bis zu 15 Fabriken unterschiedlichster Größe. 

Um 1880 entstand auf dem Pfarrmünster die Fabrik der Firma Schrader & Co. Sie entwickelte sich in den nachfolgenden Jahren zur größten Mihlaer Zigarrenfabrik. Der bei Schrader angestellte Zigarrenmeister Johann Adam Lämmerhirt machte sich noch 1880 selbständig und begründete eine eigene kleine Fabrik (Gebäude der „Darlehenskasse“). 


Belegschaftsfoto der Hamburger Zigarrenfabrik in Mihla, um 1910. Die Hamburger Aktiengesellschaft ließ auf dem Pfarrmünster ein eigenes Fabrikgebäude errichte, Foto Museum im Rathaus. 


Der Zigarrenmeister Johann Adam Lämmerhirt begründete 1880 eine eigene Zigarrenfabrik in diesem Gebäude am Eingang der Schornstraße, Aufnahme um 1935. Später kam darin auch die erste Mihlaer „Bank“, die „Darlehenskasse“, unter, wie das Gebäude noch heute von den älteren Einwohnern genannt wird, Ansichtskarte Museum im Rathaus. 

Weitere Zigarrenfabriken entstanden. So die Fabriken Pook (Karl-Marx-Platz, ehemals Gürnth, heute abgebrochen) und Münsterstraße (später Schmidt, Begründer ebenfalls Pook), Triebel (neben dem Hölzerkopfhaus, heute abgebrochen bzw. umgebaut), Böhnhardt (Reiß), die Firmen Landmann und Brinkmann. Ehemalige Zigarrenfabriken sind noch im Gebäude des ehemaligen Konsum-Einkaufszentrums in der Pfarrmünsterstraße, im Haus Steinhäuser sowie im früheren Wohnhaus der Familie Kirchner am Anger in Erinnerung. 

Um die Jahrhundertwende hatte das größte Unternehmen, Schrader, bereits über 100 Personen, vor allem Frauen, beschäftigt. 

Wie sahen die Arbeitsbedingungen aus: Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 55 bis 60 Stunden lag der Verdienst bei durchschnittlich 7 Mark, Frauen verdienten weniger, etwa 5 Mark. Dieser Hungerlohn, der den Fabrikbesitzern großen Verdienst brachte, reichte kaum zum Leben und so wurde sehr oft in Heimarbeit zusätzlich die gesamte Familie beschäftigt. Für einen aufgearbeiteten Tragkorb erhielt man weitere 50 Pfennige. 

Zu diesen äußerst harten Lohnbedingungen kamen die schlechten bautechnischen Verhältnisse in den so genannten „Fabriken“. Zunächst hatte man in den Anfangsjahren Nebengebäude, vor allem leerstehende Scheunen in den Bauernhöfen, gemietet und notdürftig eingerichtet. 


Die Zigarrenfabrik Pook auf dem Kleinen Markt gab in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts diese Ansichtskarte heraus, Museum im Rathaus.

Es gab daher kaum sanitäre Einrichtungen, die Räume waren eng und schlecht belüftet und belichtet sowie immer feucht. Schon nach kurzer Zeit machte sich die Tuberkulose unter den Mihlaer Tabakarbeitern breit. Erst in unserem Jahrhundert wurden dann die zum Teil bis heute erhaltenen größeren Fabrikgebäude erbaut. 

Die Tabakarbeiter wurden von der bäuerlichen Bevölkerung lange Zeit als „Hungerleider“ verschrien.

Davon kündet auch ein in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von besagtem Justinius Wiener verfasstes 84strophiges Gedicht über Mihla „Mihla ist ein groß Revier ...“. Erst in der vorletzten Strophe kommt Wiener auf die Tabakarbeiter zu sprechen und tut dies in dem üblichen verhöhnenden Ton: 

„Zuletzt sei noch gedacht der Leut,

die Zigarren machen allezeit.

Mancher, mancher arme Held

verdient damit sein schönes Geld ...“.

 

Rainer Lämmerhirt
Ortschronist Mihla