1815 - Die Letzten der Familie Harstall 

Bei Führungen im Mihlaer Museum im Rathaus werde ich immer wieder einmal gefragt nach der Familie von Harstall: Gibt es die Familie heute noch oder ist diese im männlichen Stamm ausgestorben? 

Bei der Beschäftigung mit der Familiengeschichte stieß ich auf eine lange Zeit unbeachtete Spur. Diese führt bis zu den „drei Harstallschwestern“, die lange Zeit in Frankenroda lebten.

Aber der Reihe nach: 

Teil 1: Die drei adligen Fräuleins 

Betrachten wir nochmals den Stammbaum am Ende des 19. Jahrhunderts: August Karl von Harstall (1815 - 1893), verheiratet mit Ida Hänert (1827 - 1910) hatte drei Söhne. Karl, 1859 geboren, übernahm im Jahre 1893 das Rittergut „Rotes Schloss“. Der zweitgeborene Sohn Ernst Adalbert (1862 - 1923) schlug die militärische Laufbahn ein. Schon sehr früh verließ er Mihla und nachdem er zum Offizier ausgebildet war, muss er wohl alle Brücken zu seiner alten Heimat abgebrochen haben, In allen Familienaufzeichnungen werden er und seine Kinder nicht mehr erwähnt. 

Dritter und jüngster Sohn des August Karl war schließlich Berthold, der 1864 geboren wurde und es bis zum Versicherungsagenten brachte. Er starb bereits recht früh, im Jahre 1907.


Otto Binswanger erhielt 1882 die Stelle als Außerordentlicher Professor der Psychiatrischen Universitätsklinik. 1891 wurde er zum Ordentlichen Professor für Psychiatrie ernannt und leitete die Psychiatrische Universitätsklinik bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1919. Binswanger wurde im April 1911 zum Prorektor der Universität Jena gewählt und erhielt den Titel eines Medizinalrates und schließlich den des Geheimen Medizinalrates. Einer seiner namhaften Patienten war Friedrich Nietzsche, Sammlung Bienert, Frankenroda. 

Schauen wir uns zunächst die Familie des ältesten Sohnes, Karl an. Karl selbst machte schon zwei Jahre nach der Übertragung des Rittergutes „Rotes Schloss“ bankrott. Allerdings konnte er durch den Verkauf an den Jenaer Professor Binswanger (1852 - 1929) seine Schulden abtragen. Binswanger führte das Rittergut „Rotes Schloss“ zu neuem Glanz und brachte Mihla durch seine Geldanlagen einigen Wohlstand. 

Karl von Harstall zog mit seiner Frau Johanna Luise, einer geborenen Bardowyck, nach Eisenach. Er erwarb dort ein Hotel und führte bis zu seinem Tode ein gutbürgerliches Leben. 

Drei seiner vier Kinder, die Töchter Magdalena, Johanna und Lise, waren noch in Mihla geboren worden. 1903 kam mit Hans Wilhelm endlich der lang erhoffte Sohn hinzu. Er kam in Eppenhain zur Welt, wo sich die Familie damals aufhielt. 


Die „Adligen Fräuleins" in ihrem Zufluchtsort, dem Wohnhaus der Bäckerfamilie in Frankenroda, aufgenommen Mitte der 50er Jahre. In der Mitte die Witwe Johanna Luise, umgeben von ihren Töchtern Magdalena, Johanna und Lise (Ilse Gertrude), Ortsarchiv Mihla. 

Die Familie musste erleben, dass sich die drei Mädchen nicht vermählten. Sie wohnten lange Zeit gemeinsam in Eisenach, wo der Vater ein kleines Hotel betrieb. Dieses gemeinsame Leben wurde nur durch die unterschiedlichen Ausbildungsabschnitte der Mädchen unterbrochen. So hielt sich Johanna nach dem 1. Weltkrieg mehrfach in Weimar auf. 

Nach den Tode Karls im Jahre 1935 musste die Familie diesen Besitz bald räumen. In dem kleinen Werradörfchen Frankenroda fanden die vier „adligen Fräuleins“, wie man sie bald liebevoll nannte, ein neues Zuhause. Dort lebten die Frauen gemeinsam, bis der Tod sie in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts schließlich trennte. Sie fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Eisenacher Friedhof. 


Zwei der Harstallstöchter am Fenster im Frankenrodaer Wohnhaus, 70er Jahre. (Fotos Museum im Mihlaer Rathaus). 

Teil 2: Der Fliegeroffizier Hans Wilhelm von Harstall 

Nach dem Tode Karls von Harstall 1935 kamen seine Frau mit ihren Töchtern in Frankenroda unter. 

Anders hingegen verlief die Entwicklung des Sohnes Hans Wilhelm. Der einzige Sohn des Karl von Harstall, des letzten harstallschen Besitzers des „Roten Schlosses“, wurde 1903 geboren. Nach dem Besuch eines Gymnasiums trat er mit 21 Jahren in die Reichswehr ein. Er folgte damit den militärischen Traditionen seiner Vorväter. 

Am 1. April 1924 zog Hans Wilhelm von Harstall die Uniform des Reiterregiments Nr. 4 an, das damals als neu aufgestellte Einheit der Weimarer Reichswehr in Potsdam stationiert war. Seine adlige Herkunft dürfte dem jungen Harstall diesen Schritt erleichtert haben, denn das Potsdamer Regiment galt als Eliteeinheit und adlige Sprösslinge hatten nach dem Geist der Armee dort leichteren Zugang. 

Nach der entsprechenden Grundausbildung wurde Hans Wilhelm in die 5. Eskadron aufgenommen. In dieser Einheit nahm er an verschiedenen Manövern und Übungen teil. Schon bald bewarb er sich in der Kadertruppe, die die Reichswehr nach den Beschlüssen der Versailler Konferenz geworden war, um eine Fähnrichstelle, um so den Sprung zum Offizier zu schaffen und sich damit die Grundlage für den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. 


Die drei Schwestern und Hans Wilhelm von Harstall, Aufnahme um 1920, Sammlung Bienert, Frankenroda, Ortsarchiv Mihla. 

Dies war für ihn besonders wichtig, da er auf finanzielle Unterstützung durch die Familie kaum hoffen konnte. 

Aus dieser Zeit im Reiterregiment 4 haben sich einige Erinnerungsfotos erhalten, die den jungen aufwärtsstrebenden Offiziersanwärter bei verschiedenen Paraden und Manövern zeigen. 


Hans Wilhelm von Harstall 1924 als Rekrut.                                     


Die 5. Eskadron (Ausbildungseskadron) des Reiterregiments beim Ausrücken zur Übung auf dem Bornstädter Feld, mit dabei Hans Wilhelm von Harstall. 


Die 5. Eskadron vor dem Reichskanzlerpalais in der Berliner Wilhelmstraße - Parade. 

Schon sehr früh scheint sich Hans Wilhelm von Harstall für die Fliegerei interessiert zu haben. Inzwischen zum Offizier befördert, bewarb er sich nach der Aufstellung der ersten Fliegereinheiten im Jahre 1934 und wurde dort aufgenommen. Wo er seine fliegerische Ausbildung durchführte, ist bisher nicht bekannt geworden. 

In Berlin konzentrieren sich bald mehrere Fliegerschulen und Stäbe der überall rasch aufgestellten Fliegereinheiten. Verbindungen entstehen zur Fliegerschule in Gatow und der Ausbildungseinheit in Jüterbog, wenig später zur Ausbildungseinheit in Berlin-Staaken. 

In diesen Tagen lernte er wohl bereits den damaligen Oberst Keller kennen, der als Leiter der Fliegerschule in Berlin-Staaken tätig war. Keller, ein Fliegerheld des 1. Weltkrieges, scheint auf den jungen Offizier einen großen Einfluss erlangt zu haben.

Teil 3: Der geheimnisvolle Tod des Fliegeroffiziers Hans Wilhelm von Harstall 

Hans Wilhelm von Harstall, der einzige Sohn des Karl von Harstall, des letzten Besitzers des „Roten Schlosses“ in Mihla, hatte eine militärische Karriere eingeschlagen. Über das Reiterregiment Nr. 4 kam er schließlich 1934 zur Fliegerei und wurde dort durch den bekannten Oberst Keller, später Generalleutnant, gefördert. 

1934 ließ sich Keller als Oberst in der neu gebildeten Luftwaffe reaktivieren, blieb aber zunächst noch Leiter seiner Flugschule in Staaken. Erst nach einem halben Jahr wechselte er als Kommodore eines Kampfgeschwaders nach Fassberg und wurde 1935 Kommandeur der fliegenden Verbände im Luftkreis IV. Am 1. April 1936 wurde er zum Generalmajor ernannt. 

Keller sorgte dafür, dass Hans Wilhelm von Harstall, inzwischen zum Hauptmann befördert, in seinen Stab des Höheren Fliegerkommandeurs im Luftkreis IV (Berlin) wechselte. 

Mit welchen Aufgaben der Hauptmann dort beschäftigt war, wurde nicht bekannt. Auch um seinen frühen Tod, nach offizieller Leseart stürzte er bei einem Flug im Sommer 1938 tödlich ab, wurde nichts bekannt. Auch die Mutter und die Geschwister scheinen darüber keine weiteren Informationen erhalten zu haben. So blieb am Ende diese Entwicklung der Grund für mehrere Legenden, die in den Dörfern über den Fliegertod erzählt wurden. Eine dieser nicht belegbaren Legenden berichtet, Hans Wilhelm von Harstall sei während des Einsatzes der Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen. 

Der Leichnam des einzigen Sohnes des Karl von Harstall wurde auf dem Mihlaer Friedhof in einem dort in den 20er Jahren angelegten Erbbegräbnis, nicht weit von der zwei Jahre zuvor eingeweihten Leichenhalle, beigesetzt. 

Zu DDR-Zeiten, nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Liegezeit von 30 Jahren, kam dann die gesamte Grabanlage zur Abräumung. Damit verschwand eine der letzten im Ort noch direkten Erinnerungen an die Harstalls. 


Hans Wilhelm von Harstall mit seinen Kameraden der 5. Ausbildungseskadron, Dritter von links. (Fotos Museum im Mihlaer Rathaus). 


General Keller im Gespräch mit Hauptmann von Harstall, Flugplatz Laake bei Berlin, um 1936, alle Fotos Sammlung Moog, Eisenach, Ortsarchiv Mihla. 


Einzig dieses Foto von dem schlichten Familiengrab auf dem Mihlaer Friedhof hat sich erhalten.

Das Ende einer Familienlinie 

Die jüngste Tochter der Familie des Generals Ernst Adalbert von Harstall, Brigitte, heirate bereits bürgerlich, einen Herrn Klein. 

Nach dem Tode des Vaters, des Generals, brachen die Kontakte zwischen Hartmann von Harstall und der Mihlaer Familienlinie sehr rasch ab, vor allem nachdem der Zweite Weltkrieg eine Spaltung Deutschlands zur Folge hatte und die Güter in Mihla nunmehr in der sowjetischen Zone und der späteren DDR lagen. 

Erst nach der „Wende“ des Jahres 1989 nahm der inzwischen hoch betagte Hartmann von Harstall, Mediziner im Ruhestand, über seinen Sohn Götz Freiherr von Harstall und der Tochter Sybille, verheiratete Kahle, Kontakte nach Mihla auf. Dort ging man nach dem Tode des Freiherrn Georg Ludwig Ernst im Februar 1945 davon aus, dass die Harstallsfamilie inzwischen im männlichen Stamm ausgestorben sei. 

Im Jahre 1992 bereiste die Familie Thüringen und besuchte auch das Graue und das Rote Schloss. Zwei Jahre später verstarb Hartmann von Harstall. Weitere Kontakte mit dessen Kindern erfolgten nicht. 


Generalmajor Adalbert von Harstall bei einer Ausfahrt mit seiner Gemahlin Frieda Adelheid, geborene von Sondershausen, Anfang der 2oer Jahre in Weimar, Sammlung Bienert, Frankenroda, Ortsarchiv Mihla.

Damit scheint es nunmehr tatsächliche Wahrheit geworden zu sein: Die Familie von Harstall, die so lange Zeit die Geschicke und Geschichte der Region an Werra, Lauter und am Hainich geprägt, beeinflusst und zumindest mitgestaltet hatte, scheint im Aussterben zu sein. Die Kinder Hartmanns von Harstall haben keine direkten Nachkommen.

     
Der Allgemeinmediziner Hartmann von Harstall betrieb eine Arztpraxis in Wolfenbüttel, Foto Dr. von Harstall. 1992 besuchte Hartmann von Harstall Mihla. Vor dem Portal des Roten Schlosses ließ er sich mit seiner Tochter abbilden. 


Besuch des Grauen Schlosses. Die Tochter hält die Mihlaer Chronik in den Händen, die sie vom Mihlaer Ortschronisten übergeben bekam, Fotos Autor. 

Rainer Lämmerhirt