Auswanderung vor 150 Jahren - 1872 

Amerika war im 19. Jahrhundert das begehrte Ziel vieler deutscher Auswanderer. Wirtschaftliche Not und politische Verfolgung waren die Hauptursachen, die weite Reise nach Übersee, auch nach der Reichsgründung 1871, zu wagen. So wie auch ein Beispiel aus Nazza belegt: Am 13. März 1872 wanderte Valentin Zipf mit seiner Frau Anna Maria, Stieftochter von Johann Georg Heilwagen, mit ihren drei Kindern, den zwei 9 und 5-jährigenTöchtern Maria und Martha sowie dem 22-jährigen Sohn Georg, aus. Die Nazzaer Gemeinde verabschiedete die Familie in der Kirche. Am 20. März verließen sie Nazza. In den Passagierlisten der Hamburg-Amerikanischen-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) ist das Ausreisedatum 27. März 1872 vermerkt. Mit dem Dampfschiff „Chimbria“ ging die beschwerliche Reise von Bremen über den Atlantik nach New York. Die Neuankömmlinge ließen sich in Hutchinson, Minnesota, nieder. 

Zehn Jahre nach Ankunft der Nazzaer in der neuen Heimat schrieb Valentin 1882 einen Brief an die daheimgebliebene Verwandtschaft: 

„Lieber Schwager und Familie! 

Es sieht beinahe so aus als wenn ich mit meiner Familie bei Euch in Vergessenheit geraten wäre, oder erlaubt es die Zeit, Um- und Landstände nicht von Eurem Befinden Nachricht zu tun? Ich habe Euch, sowie Nazza noch nicht vergessen, ob es gleich in dem bucklichen Nazza nicht schön ist, so sind doch die Gedanken immer bei Euch, aber die Zeit kömmt mir so vor wie eine große Ackerwalze, die unbarmherzig alles niederdrückt, was zwischen Freundschaft entstanden ist …. „ 

Weiter schreibt er: „Es kann sein das ich Euch noch einmal besuche, wenn ich gesund und wohl bleibe. Aber spricht der Tod mein Valentin mach keine Umstände und geh, so leg ich meinen Hobel hin und sag der Welt ade, und wenn Petrus ruft, so legen wir uns auf die rechte oder linke Seite, sagen unseren Weibern, wenn wir noch eine haben, Lebewohl und schieben ab, der Pfarrer trägts ins Kirchenbuch und alles ist abgethan und wenn es eine Auferstehung gibt und der Trompeter oder Posaune bläßt, steigen wir aus unseren Gräbern auf, waschen und kämmen uns, bürsten die Zähne gut, ziehen uns fein an, nehmen ein paar Glacehandschuhe in die linke Hand gehen fürbas gen Osten, wenn uns nicht gerade Gelegenheit zum Fahren geboten wird.“ 

Zu einem Besuch von Valentin in seiner alten Heimat kam es nicht mehr. Er starb 1902 und ist auf heimischen Acker begraben (Foto 1). Seine Frau Anna Mary (Maria) überlebte ihn um sechs Jahre. Die Zipfs lebten von der Landwirtschaft. In der kalten Jahreszeit verdingte sich Valentin als Lehrer: „Den Winter über halte ich wieder deutsche Schule und erziehe hier die Jugend zur Gottesfurcht und Tugend, verwamse auch den Hintern der ungezogenen Kinder.“ schrieb er in seinem denkwürdigen Brief. 

Der Originalbrief liegt bei Kurt Heilwagen in Nazza (Foto2). Eine Kopie wurde der Sammlung von Auswandererbriefen an der Forschungsbibliothek Gotha übergeben. Der Briefkontakt mit den Zipfs ist bis heute nicht abgerissen. 

Im November 1995 reisten Kurt, Hannelore und Gerald Heilwagen zu den Nachfahren der Einwanderer an ihren angestammten Ort. Die landwirtschaftliche Hofstelle - mit der von Valentin Zipf selbsterbauten Scheune südwestlich von Hutchinson - war noch immer bewohnt. Für den Besuch aus dem wiedervereinigten Deutschland interessierte sich die lokale Presse und schrieb ausführlich darüber. (Foto 3) 

Zu einem Gegenbesuch kamen Ted und Glenyce Zipf im Jahr 2000 nach Nazza. Ted (Theodore) ist der Urenkel des ausgewanderten Valentin. Ted starb im 95. Lebensjahr in 2015. Seine Frau Glenyce mit schwedisch-estnischen Wurzeln lebt hochbetagt seit einigen Jahren bei ihrer Tochter im warmen Florida. Sie wird in diesem Jahr am 8. Dezember 100 Jahre alt, - und schreibt noch immer Briefe nach Nazza. Valentins schönes Fachwerkhaus steht noch heute guterhalten in seiner alten Heimat. 


Grabstein von Valentin Zipf (1824-1902) 


Zipf-Brief von 28.02.1882


Glenyce und Ted Zipf mit Lokalreporter auf dem ehemaligen Hof von Valentin Zipf, 1995 

Gerald Heilwagen