Aus alten Zeiten…um 1890 hatten sich die Lebensbedingungen in den Orten unserer Region nach Jahrhunderten entscheidend geändert 

Die stürmische wirtschaftliche Entwicklung in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 machte auch vor den Dörfern unserer Region nicht halt. Über Jahrhunderte hatten die Menschen vor allem von der Landwirtschaft gelebt. Hinzu kamen die typischen Dorfhandwerker, deren Produkte jeder benötigte und die mitunter auch auf den Märkten der Städte anbieten konnten. 

Großindustrie, die Entstehung kapitalistischer Unternehmen und damit verbunden der Wegzug vieler Menschen in die Städte hatten um 1890 das Leben in den Dörfern völlig verändert.

Für die Handwerker brachen mit dem Fortschreiten der kapitalistischen Entwicklung sehr schwierige Zeiten an. 


Ein historischer Blick auf die alte Gemeindebackstube am Anger in Mihla. Die von den Harstalls verpachtete Bäckerei ist bis in das frühe 18. Jahrhundert nachweisbar. Das Foto wurde vom Pfarrberg aufgenommen. Vor der Backstube begegnen sich gerade zwei Kuhgespanne. 

Ihre Geschäfte erwiesen sich bald als unrentabel und der Fabrikproduktion als nicht gewachsen. So schrieb die Eisenacher Zeitung am 23.7.1890: „Vor 20 Jahren befanden sich in Mihla wohl 50 und mehr Leute, welche durch Handwerkerei sich ihren Unterhalt zu beschaffen wußten. Maschinen haben die Handarbeit in den Hintergrund verdrängt. Schon seit Jahren gibt es keine Lehrlinge mehr. Viele junge Leute wollen das Handwerk verlassen, finden aber keine Arbeit."

Als besonders hart wurde der Rückgang der traditionellen Weberei empfunden. Sie erlag den mechanischen Webstühlen. Auch Versuche der in Eisenach ansässigen Firma C. Neuhaus und Söhne, eine von hoher Qualität getragene „altdeutsche Weberei" von Decken zu beleben, waren nur von kurzer Dauer. 

Mihla besaß, wahrscheinlich seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, eine Verpflegungsstation für wandernde Handwerksgesellen. Sie war zuständig für die Orte Bischofroda, Berka, Scherbda und die gothaischen Orte Nazza, Hallungen, Frankenroda, Ebenshausen, Lauterbach und Neukirchen. 

Allein im Jahre 1888 erhielten in dieser Station (wohl in Verbindung mit dem „Mohren") 186 Personen ein Mittagessen, 363 Gesellen übernachteten. Die Eintragungslisten berichten von 51 Arbeitern, 41 Müllergesellen, 24 Bäcker-, 18 Bauern-, 20 Fleischer-, 6 Zigarrenmacher-, 7 Weber-, 10 Färber-, 31 Schuster-, 40 Schlossergesellen, aber auch von solchen Berufsgruppen wie Kellner, Spinner, Wirker, Schneider, Maurer, Steinhauer, Schmiede, Sattler, Schornsteinfeger, Barbiere, von 2 Fotografen, Büchsenmachern und Knopfmachern. Insgesamt wurden für 1888 58 Handwerksgruppen genannt. 

Diese Verpflegungsstelle ließ die „Bettelei faßt gänzlich von der Straße kommen“ (Eisenacher Zeitung, Sommer 1888).


Gleich zwei der damals das Dorfbild beherrschenden Gaststätten lagen an der Einmündung der Marktstraße in die Neustadt, links die Wirtschaft Stein mit Saal, rechts der „Mohren“, ebenfalls mit Saal und Ausspanne für Reisende.

Neben diesen Gastwirten kamen mit den Gastwirtschaften Trabert, Schwan, dem „Deutschen Haus“ auf dem Eisfeld, der Wirtschaft Schütz in der unteren Schlossgasse, der „Goldenen Aue“, dem Werrablick und seit 1912 einer Gaststätte im Bahnhof Mihla mindestens sieben weitere Wirtsleute als starke Handwerkerzunft hinzu. 


Ein Blick in die Neustadtstraße, aufgenommen zu einer Kirmes in den 50er Jahren. 

Um 1900 hatte sich Mihla endgültig aus einem Agrar- zu einem Industriearbeiterdorf entwickelt. Von den nun im Ort lebenden etwa 430 Familien lebten noch 80 von der Landwirtschaft, 300 waren in der Industrie beschäftigt, 30 arbeiteten noch als Handwerker, der Rest bestritt sein Einkommen aus anderen Quellen. 

Rainer Lämmerhirt
- Ortschronist Mihla -