Vor 100 Jahren: Das Jahr 1923, das turbulenteste Jahr der Weimarer Republik 

Die seit Kriegsende 1918 sich ständig verstärkende Krise im wirtschaftlichen Bereich erlebte 1923 ihren absoluten Höhepunkt. Anfang des Jahres besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die Reparationskommission auf Grundlage des Versailler Vertrages hatte festgestellt, dass Deutschland mit den Zahlungen der Kriegsentschädigungen in Rückstand gekommen war. Das Ruhrgebiet sollte nun als Pfand entsprechend des Vertrages für diese Zahlungen dienen. 

Die Reichsregierung in Berlin rief dagegen zu passivem Widerstand auf. Letztlich wurde dadurch nichts erreicht, aber die Kosten für den “Ruhrkampf” trieben die Inflation weiter in die Höhe. 

Schon im Frühjahr 1923 blieben die Kohlelieferungen für unsere Region aufgrund des Ruhrstreikes, bis dahin bereits ein schwieriges Problem, gänzlich aus. Die Eisenbahnverbindungen von und nach Eisenach mussten wegen des Kohlemangels gekürzt werden. Dadurch verschlechterte sich die Lebenslage gerade für die in Eisenach Beschäftigten ganz erheblich. Die Arbeiter waren bis zu 16 Stunden am Tage unterwegs. Auch die Arbeitslosenzahlen stiegen mit fortschreitender Krise weiter an. Die Eisenbahnmeisterei Mihla entließ z. B. 23 Streckenarbeiter und 4 Beamte. 

Die Zigarrenindustrie ging zur Kurzarbeit über. Als schwerstes Problem entwickelte sich die „galoppierende“ Inflation. Verlorener Weltkrieg, Staatsverschuldung und Ruhrkrise hatten sie zusätzlich angeheizt. Der Weimarer Staat sah nur eine Lösung: Immer mehr Geld in Umlauf bringen, die Reichsmark wurde täglich wertloser. 

Schon im Sommer 1923 zahlten die Betriebe in Mihla zweimal in der Woche Lohn, im Herbst dann sogar täglich. Alles Geld wurde so schnell wie möglich in Waren umgesetzt, denn schon Stunden später konnte es völlig wertlos sein. Am 1. November 1923 kostete 1 Pfund Brot 260 Milliarden Reichsmark, 1 Pfund Zucker 250 Milliarden, 1 Pfund Fleisch 3,2 Billionen und 1 Pfund Butter 3 Billionen! 

   
Nichts war im Herbst 1923 wertloser als die nur noch einseitig bedruckten Markscheine. Viele Städte wie Eisenach gaben Notgeld heraus, um überhaupt den Warenfluss aufrecht erhalten zu können. Rechts ein wunderschön gedruckter Schein der „Bachserie“, heute Sammelobjekte, Museum im Mihlaer Rathaus. 

Die mit der Inflation verbundenen Unruhen in den Orten erhöhten sich rasch weiter, nachdem die Reichswehr im Herbst 1923 in Thüringen Manöver durchführte. Der Grund hierfür lag darin, dass der SPD-Ministerpräsident Thüringens, August Fröhlich, am 16. Oktober eine Koalitionsregierung mit dem Kommunisten gebildet hatte. Diese “Arbeiterregierung” verkündete den Beginn der “Sozialisierung” und ließ proletarische Hundertschaften einer Volkswehr aufstellen. 

Ziel war, gemeinsam mit Sachsen, wo es auch zu einer Regierung aus linker SPD und Kommunisten kam, die Berliner Reichsregierung durch einen linken Aufstand zu stürzen und unter Anleitung von Hinweisen der Dritten Internationale aus Moskau die Weltrevolution anzukurbeln. 

Aus den Manövern der Reichswehr in Thüringen, die der Fröhlich-Regierung auf Befehl der Reichsregierung in Berlin den Dienst verweigerte, wurde schließlich eine Besetzungsaktion, nachdem die Reichsregierung den Ausnahmezustand aufgrund des Artikels 48 der Reichsverfassung verhängt hatte. 

Die Regierung Fröhlich wurde für abgesetzt erklärt. Der zu erwartende Bürgerkrieg kam nicht, da die Kommunisten letztlich am 12. 11. 1923 ihren Austritt aus der Regierung Fröhlich erklärten und auch der Ministerpräsident “freiwillig” zurücktrat. Für den Februar 1924 wurden neue Landtagswahlen angesetzt. 

Seit August 1923 lagen deshalb Abteilungen der Reiterregimenter Erfurt und Langensalza sowie deren Stäbe in Mihla. Aus den Fenstern des „Grauen Schlosses“, wo sich die Offiziere einquartiert hatten, wehte eine Totenkopfflagge. 


Mihla war in den 20er Jahren eine Hochburg der Zigarrenfabrikation. Viele Frauen arbeiteten in den Fabriken, noch häufiger gab es Heimarbeit. Durch die Inflation brach diese Produktion sehr rasch zusammen und es dauerte mehrere Jahre, ehe die Zigarrenindustrie wieder auflebte. Allerdings wurde nie wieder die Breite der Produktion von Anfang der 20er Jahre erreicht. Foto der Belegschaft der Fabrik der Hamburger Aktiengesellschaft auf dem Pfarrmünster, Anfang der 20er Jahre. 

Im Dezember 1923 setzte eine beinahe nicht mehr erwartete Stabilisierung der Verhältnisse ein. Die Rentenmark, vom neuen Reichskanzler Stresemann auf den Weg gebracht, wurde angenommen und die Inflation erlosch. Eine Billion (!) der alten Reichsmark konnten nun gegen 1 neue Rentenmark getauscht werden. Die Menschen konnten aufatmen, vorerst! Die Turbulenzen des Jahres 1923 hinterließen tiefe Spuren in den Menschen. Das Trauma der Inflation wirkte noch über Jahrzehnte und erreicht uns aktuell gerade wieder… 

In Mihla gab es 1923 ebenfalls weitere Ereignisse, über die zu berichten wäre. Kreisdirektor Hörschelmann (SPD) beantragt den Ausbau der Straße Mihla-Neukirchen (im heutigen Straßenverlauf, die alte Straße verlief von Mihla über Lauterbach nach Bischofroda und dort vorbei an der “Struth” nach Neukirchen). Dazu sollten Arbeitslose eingesetzt werden. Nach dem Vorschlag Hörschelmanns sollten 30 Prozent der Kosten durch die beiden Gemeinden Mihla und Neukirchen getragen werden, 40 Prozent sollten die Mihlaer Firmen Wüstefeld und Kraft sowie Lichtenberg übernehmen, die den größten Nutzen vom Ausbau hätten, 30 Prozent würde der Landkreis übernehmen. 

Obwohl die Firma Wüstefeld und Kraft ablehnt, kommt der Straßenbau langsam in Gang. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 89.000 Goldmark. 

Neuer Schulleiter in Mihla wurde der Lehrer Alexander Fischer. Insgesamt wohnten 1923  in Mihla 5 Lehrer in Dienstwohnungen (in der alten “Bürgerschule” sowie dem Lehrerhaus in der Marktstraße, heute Praxis von Sina Rödiger). 

Auch das gab es: Das Land unterstützte die Stadt, die Gemeindeschwester Frieda Hohl sammelte für die notleidende städtische Bevölkerung. Es kamen zwei Zentner Mehl, 20 Brote, ein Zentner Bohnen, ½ Zentner Wurst und Speck sowie 200 Eier zusammen. Auch wurden 12.000 Mark Geld aufgebracht. 

Das Jahr 1923 ging mit einer allgemeinen Beruhigung zu Ende. Das neue Geld, die Rentenmark, wurde von der Wirtschaft und auch von der Bevölkerung angenommen. 

1924 standen nach der Auflösung der Landesregierung nun Neuwahlen des Landtages an.

Wie würde sich das Krisenjahr 1923 darauf auswirken? 

Rainer Lämmerhirt
- Ortschronist Mihla -