1924 - Vor 100 Jahren in unseren Orten… 

Vom Herbst 1923 bis zur Landtagswahl im Februar 1924 herrschte in Thüringen Ausnahmezustand. Das Wahlergebnis vom Februar 1924 spiegelte die nach vier Jahren Demokratie erreichte Situation wider: Gewinner der Wahl war der “Thüringer Ordnungsbund”, ein Zusammenschluss bürgerlicher Parteien. Seine Wahlkampflosung “Das ganze Land kam auf den Hund, nun rettet nur der Ordnungsbund” wurde alsbald in die Tat umgesetzt. Viele der in Thüringen begonnenen Reformen der vormaligen SPD-Regierung wurden abgebrochen, dies betraf den wirtschaftlichen Bereich und auch die Schulbildung. Die Fürsten wurden für ihre 1918 in der Revolution erlittenen Verluste abgefunden. 

Einen enormen Stimmenzuwachs erreichten auch die radikalen Parteien. Die KPD kam von 6 auf 13 Mandate, die “Völkische Liste”, ein Zusammenschluss der Rechten, erreichte 7 Sitze. Deren Vorsitzender Artur Dinter wechselte wenig später in das Lager der Nationalsozialisten (NSDAP).  Dinter wurde zum ersten Nazi-Gauleiter in Thüringen. 

War die Politik früher von der Duldung durch die starke KPD-Fraktion im Landtag abhängig, so hatten sich nun die Fronten gänzlich gewandelt. Regiert werden konnte wegen fehlender Mehrheiten nur noch mit Hilfe der rechten Parteien. Trotzdem brachten die nächsten Jahre die von allen erwünschte Beruhigung und Stabilisierung. Die “Goldenen Zwanziger” begannen und hielten auch einige Jahre an. 

Die Zigarrenindustrie im Werratal erholte sich aus der tiefen Krise des Jahres 1923. Auch in der Landwirtschaft belebten die stabilen Preise die Geschäfte. Davon profitierten zuerst die Rittergutsbesitzer in Mihla, der alte Baron von Harstall, dessen Schwiegersöhne von Gudenberg und Große-Brauckmann, sowie der Besitzer des Roten Schlosses, Lichtenberg, die einen Teil ihrer Schulden abzahlen konnten. 

In Mihla begann in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ein wahrer Bauboom. Neubaugebiete entstanden und Straßen wurden gebaut. Es sah gut aus für die Zukunft. Geselligkeit zog wieder in das dörfliche Leben ein. Davon zeugen die vielen Vereinsfeste der Jahre 1924 und 1925. 

Wichtig für die Bewohner Mihlas und Lauterbachs war die durch ständige Proteste 1924 erzwungene Aufhebung der Zwangsvereinigung der Orte.  Damit hatten vor allem die Lauterbacher letztlich einen Sieg gegen die Behörden und deren Verwaltungsreform erkämpft. Die Folgen der ungeliebten Vereinigung sind jedoch noch bis heute zu spüren. 

Einige Schwerpunkte, was damals in Mihla geschah: Das Arbeitsamt Eisenach vermeldete eine ständige Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in der Zigarrenindustrie. Die Anzahl der Erwerbslosen nahm von Woche zu Woche ab. 

Der Mihlaer Gemeinderat fasste den Beschluss, das Schulgeld neu zu berechnen und die Zahlung in der neuen Währung, der Goldmark, abzufordern. Jedes Haus mit schulpflichtigen Kindern soll eine Mark zahlen. 

Der Mihlaer Friedhof, vor 50 Jahren von der Kirche an den heutigen Standort verlegt, ist 1924 übervoll. Es gab daher Anträge im Gemeinderat, eine Verlagerung vorzubereiten. Nach längerer Diskussion wurden drei neue Standorte vorgeschlagen: Am Hainberg, am Propelweg und im Lohfeld. 

Die Brauerei “Rotes Schloss” stellte ihre Produktion ein. Der Besitzer Lichtenberg hatte das genehmigte Braukontingent an die Aktienbrauerei nach Eisenach verkauft. Auch die noch recht neue Braueinrichtung im Cuxhof wurde zu Geld gemacht. Damit erlosch das uralte (seit dem Jahre 1533 nachgewiesene) Braurecht in Mihla.


Vor dem Gebäude der ehemaligen Zigarrenfabrik Nickol in der Münsterstraße, später das  Kaufhaus CPR,  steht Eduard Johann Hommann, Jahrgang 1865, in Ifta geboren, und in Mihla tätig als Schäfer. Aber auf dem Bild sehen wir ihn mit einem Bierwagen der Mihlaer Brauerei “Rotes Schloss”, Diese Inschrift ist zumindest mit einer guten Lupe auf der Seitenwand des Wagens zu lesen. Auch das Bierfass auf dem Wagen verweist darauf, welcher Tätigkeit der Kutscher hier nachgeht. Da die Mihlaer Brauerei ihre Produktion bereits Anfang der 20er Jahre einstellte, muss das Foto also auch in dieser Zeit entstanden sein und ist über 80 Jahre alt! Herr Hommann verstarb übrigens im Jahre 1938 im Alter von 73 Jahren. 

Der Druck, vor allem der Lauterbacher, auf die Landesregierung, die Zusammenlegung von Lauterbach und Mihla aufzuheben, war in den letzten Wochen immer größer geworden. Immer wieder wurden Petitionen an den Landtag geschrieben. Nach der Bildung der neuen Landesregierung wurde nun den beiden Gemeinden signalisiert, man möge in den Gemeinderäten Aufhebungsbeschlüsse fassen. Diese würden dann vom Landtag genehmigt und die Verschmelzung wieder rückgängig gemacht. 

Oberlehrer Mohr aus Mihla war im Frühjahr 1924 40 Jahre im Schuldienst. 

Die Maul- und Klauenseuche wütete in Mihla. 

Der Thüringer Handwerkerverein, der in Zusammenarbeit mit der Carl-Grübel-Stiftung in Gotha die Handweberei in den Orten des Werratales unterstützte, vermachte sein gesamtes Vermögen dem Nazzaer Kaufmann Oskar Bergmann, der nun das vereinzelt noch anzutreffende alte Weberhandwerk förderte. 

Am 4. Mai fanden Reichstagswahlen statt. Die Ergebnisse aus Mihla: 

- Völkisch-Sozialer Block:        48 Stimmen

- Landbund:                            469 Stimmen

- Vaterländischer Volksverein: 43 Stimmen

- DVP:                                      68 Stimmen

- SPD:                                     590 Stimmen

- DDP:                                      41 Stimmen

- USPD:                                    14 Stimmen

- KPD:                                      19 Stimmen 

Gewinner der Wahl waren die Rechtskräfte. Erstmals kam die NSDAP von Adolf Hitler auf 6,5 % der Wählerstimmen und stellte 32 Abgeordnete, die DNVP erreichte gar 19,5 %, die DVP 9,2 %. Der Landbund, beinahe nur in Thüringen stark, kam auf 1,9 Prozent (10 Abgeordnete) und ging bald mit der NSDAP zusammen. Die SPD verlor an Stimmen und erreichte im Reich nur noch 20,5 Prozent, die USPD versank in Bedeutungslosigkeit mit 0,7 Prozent. 

Starke Gewinne konnte die KPD (12,5 Prozent) verzeichnen. Eindeutig schlug auch bei dieser Wahl das Krisenjahr 1923 voll durch und stärkte vor allem die radikalen Parteien. 

Die Mihlaer SPD konnte dagegen ihre führende Rolle beim Wählerverhalten im Ort knapp behaupten. 

Ende Mai wurde mit Bescheid des Landes die Gemeinde Mihla einschließlich Lauterbach aufgelöst. Lauterbach wurde nach gut drei Jahren wieder eigenständig. 

In Mihla wird ein erstes Radio bei Alfred Hasert in Betrieb genommen. 

Rainer Lämmerhirt