Das Jahr 1929 - Häusle bauen, Wasserzinz und polare Kälte
 
 
Vorbemerkungen: Die Jahre 1929 und 1930
 
Im Verlauf des Herbstes 1929 beunruhigten erste Nachrichten über Bankzusammenbrüche und wirtschaftliche Krisen in den USA die Menschen in Deutschland. Doch schienen diese Ereignisse noch weit entfernt vom Alltagsgeschehen. Es schien kaum vorstellbar, daß die gerade spürbar gewordene Festigung der wirtschaftlichen Verhältnisse unterbrochen werden könnte. In Berlin regierte die von der SPD geleitete Müller- Regierung und dies nun schon länger als alle anderen vorherigen Regierungen. Auch im Werratal war Ruhe eingekehrt. In Mihla hatte die SPD alle Angriffe aus dem bürgerlichen Lager abwehren können und besaß mit dem Bürgermeister Hörschelmann einen erfahrenen und engagierten Politiker.
 
1929 konnte dieser einige Erfolge verbuchen. Nach Verhandlungen mit dem Land wurden noch aus der Kaiserzeit stammende Schulden erlassen. Ebenso konnte er durch Verhandlungen mit dem Testamentvollstrecker des inzwischen verstorbenen Professor Binswanger, dem Politiker Paulsen, erreichen, daß die einst von Binswanger durch die Gemeinde ausgeliehenen 50.000 RM für die Fortführung des Bahnbaus gemildert wurden. Ein Streit mit der Kirche wegen der Zahlung von Geldern nach seit Jahrhunderten festgelegten Regelnkonnte beseitigt und neu ausgehandelt werden. Zu einem erneuten Antrag der Gemeinde Ebenshausen auf Umflurung der Flur Werthausen nach Ebenshausen nahm die Gemeinde Mihla erstmals eine geschlossene und abweisende Position ein.
 
Auch im Ort ging esvorwärts. Das neue Spritzenhaus am Markt wurde eingeweiht, der Drogist Thomas ließ vor seiner Drogerie in der Neustadtstraße eine Tankstelle errichten, der Wohnungsbau "An der Teichweise" ging voran.
 
Mit der NSDAP erreichte eine neue politische Kraft in Thüringen entscheidende Bedeutung. Bei den zweiten Landtagswahlen 1929 konnte sie ihre Abgeordnetenzahl von 2 auf 6 Sitze erhöhen.
Im Januar 1930 trat die NSDAP in eine rechtskonservative Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Baum ein. Wilhelm Frick, engster "Kampfgefährte" Hitlers, erhielt das wichtige Innen- und Volksbildungsministerium. Schon bald mußten auch die Mihlaer Schulkinder alltäglich im sogenannten "Schulgebet" nationale Parolen gegen den Versailler Vertrag aufsagen.
 
Die zunehmende politische Polarisierung zeigte sich auch in Mihla. Die NSDAP gründete 1930 eine Ortsgruppe, der KPD gelingt eine solche Gründung 1932 mit zunächst 11 Mitgliedern. Die Streitkultur zwischen den Parteien nahm immer heftigere Formenan.
 
Als zum Beispiel nach dem Tode des beliebten Arztes Dr. Evers die Frage nach einem neuen Kassenarzt stand, beschuldigte man den neuen Kandidaten, Dr. Köhler, in aller Öffentlichkeit, das Amt nach vorheriger Absprachen wegen seiner SPD- Mitgliedschaft erhalten zu haben. Als sich dann zeigte, daß Dr. Köhler Unterschlagungen bei Krankengeldabrechnungen nachzuweisen waren, standen die alten Vorwürfe gegen die SPD wieder auf der Tagesordnung.
 
Als dann im Verlauf des Jahres 1930 die MihlaerZigarrenindustrie zusammenbrach und im Sommer 1930 bereits 329 Arbeitslose gemeldet waren, machten sich bei vielen Menschen Zukunftsangst und bald auch das Verlangen und Hoffen auf politische Lösungen und sichere Verhältnisse breit. Schon im August1930 boten sich diese Lösungen für Viele auch an:
 
Die Eisenacher NSDAP organisierte in Mihla einen großen Werbeaufmarsch. Alles wurde durch SA- Einheiten der Region gut vorbereitet. Die NSDAP aus dem gesamten Kreis beherrschte für einen Tag das "rote Mihla" völlig. Die Abschlußkundgebung fand im "Mohren" satt. Hauptredner war ein gerade von den Kommunisten zu den Nazis gewechselter Politiker. Für die eigentlich geplante Gründung einer Mihlaer Ortsgruppe fanden sich allerdings noch nicht genug"kampfbereite" Mihlaer, noch wollte man nur schauen.
 

1929
 
Januar/Februar
 
- Bürgermeister Hörschelmann hat vom Landkreis den Erlaß eines Teils der Gemeindeschulden erreicht.
 
- Auf der Ratssitzung im Januar wird K. Hook (SPD) zum 1. Vorsitzenden des Rates gewählt.
Stellvertreter wird W. Gernandt (Landbund). Der bisherige 1. Vorsitzende W. Vogt (SPD) wird zum ehrenamtlichen Beigeordneten gewählt. Vorsitzender des Bauausschusses wird August Vogt.
 
- Erstmalig wird vom Landkreis eine Einwohnerstatistik veröffentlicht. Danach hatte Mihla am 31.1.21928 2191 Einwohner, 1098 männliche und 1093 weibliche. In den letzten zwei Jahren nahm die Bevölkerung um 113 Personen zu. 1928 gab es 18 Eheschließungen, 53 Geburten (!) Und 30 Todesfälle.
 
- Im Arbeitsbezirk Mihla wird eine Arbeitslosenkontrollstelle eingerichtet.
 
- Die Verschuldung der Gemeinde, so ist Ende Januar in einem Zeitungsartikel zu lesen, beträgt nach Berechnung des Bürgermeisters noch 70.000 RM, wovon 7000 RM Vorkriegsschulden, vor allem vom Bahnbau herrührend, sind.
 
- Der Bauausschuß besichtigt Ende Januar das Geschäft des Kaufmanns Radloff am Markt. Dieser hat beantragt, vor seinem Laden eine Tanksäule errichten zu lassen. Unter Auflagen stimmt der Ausschuß dem Antrag zu.
 
- Auf der Ratssitzung im Februar geht es wiederum um den Schulneubau in Mihla. Es herrscht großer Raummangel. Zur Zeit werden 8 Klassen unterrichtet, hinzu kommen noch 6 Berufsschulklassen. Der Unterricht muß auch im Sitzungssaal des Rathauses stattfinden. Hierzu gibt Bürgermeister Hörschelmann die Genehmigung.
 
- Ein Schreiben des Landrates sorgt in der Gemeinde für Disksussionen. Es geht dabei um die Besitzrechte in der Wüstungsflur Werthausen. Der Landrat schlägt vor, die Flur wegen der dortigen Besitzrechte Ebenshäuser Bauern nach Ebenshausen umzufluren. Über die Zugehörigkeit dieser Flur hatte es bereits im 18. Jahrhundert einen lang andauerenden Rechtsstreit gegeben.
Der Landkreis will mit der Umflurung vorallem eine Verbesserung der Straßensituation von Mihla nach Scherba erreichen. Die Straße soll durch die Gemeinde ausgebaut werden, was von dieser abgelehnt wird. Der Mihlaer Gemeinderat soll zu diesem Problem beschließen.
 
- Eine Bürgerversammlung stimmt den Beschluß des Gemeinderates zu, einen Wasserzins einzuführen. Dadurch soll der Fehlbetrag des Wassergeldes abgeglichen werden: Der Haushalt muß demnach im Jahr 12 Mark zahlen, ein Junggeselle 6 Mark, für 1 Pferd müssen 8 Mark und für 1 Kuh 5, für 1 Schwein 2 Mark an die Gemeinde gezahlt werden.
 
- Auf dem Wege zum Mihlaer Bahnhof verunglückt ein Bischofrodaer Bauer mit seinem Fuhrwerk tödlich. Der unbeschrankte Bahnübergang ist recht gefährlich. Das Gespann wird vom Zug erfaßt.
 
- Bürgermeister Hörschelmann wird in den Schulvorstand gewählt.
 
- Der Bauausschuß stimmt den Bauanträgen der Herren Fritz Heusing (Lauterbacher Straße), Adam Märten (Pfarrmünster) und Wilhelm Ullrich zu.
 
- Ende Februar findet ein "Kreisbildungstag" in Mihla statt. Neben Vorträgen von Wissenschaftlern spricht auch der Eisenacher Lehrer und Heimatforscher Fritz Rollberg über die Besonderheiten der Werraregion.
 
- Ende Februar wird in der Lauterbacher Flur, im Forstbezirk "Schwan", der wohlälteste Baum der Region, im Volksmund "Adam" genannt, gefällt. Das Gegenstück, die Buche "Eva" war schon im Jahre 1924 abgeholzt worden. Der Transport der über 400 Jahre alten Buche erfolgt mit 12 Pferdegespannen zum Mihlaer Bahnhof und dauert 2 Tage!
 

März
 
- Der Mihlaer Konsumverein schließt sich dem Eisenacher Verein an. Ursache ist der fehlende Umsatz im Ort. Zudem kann durch die so gestärkte Finanzdecke nun auch der geplante Neubau einer eigenen Verkaufsstelle in Angriff genommen werden. Sie soll am Ende der Schloßgasse, am Bach, entstehen.
 
- Die Festlegung der Wasserzinszahlungen in Mihla führt zu einem handfesten Streit in der Gemeinde, der zwischen den einzelnen Parteien vor allem in der Presse ausgetragen wird. So forderndie Landwirte eine Befreiung vom Zins, worauf die SPD scharf reagiert: "Ob denn die Mihlaer Arbeiter allein die Auswechslung der zum Teil 40 Jahre alten Wasserleitungen bezahlen sollen!"
 
- Zur Ratssitzung im März legt Bürgermeister Hörschelmann einen ausgeglichenen Haushalt in Höhe von 49.634 RM vor.
 
- In der Mühlhäuser Straße beginnt die Verlegung eines Fernsprechkabels.
 
- Streit gibt es mit dem Unternehmer Sternberg, der viele Waldgrundstücke vom ehemaligen Rittergutsbesitzer Lichtenberg gekauft hat. Durch seine ständigen Abholzungen, er versucht, alles Eigentum zu Geld zu machen, sind die Waldwege in einem schlechten Zustand. Die Gemeinde fordert Lichtenberg auf, den "Hühnerlochweg" für 7200 RM wieder in Ordnung zu bringen.
 
- An der Teichwiese wird die dort entstehende Straße (Rosenallee) in 12 Meter Breite vermessen. Die dortigen Grundstücke werden für den Verkauf durch die Gemeinde parzelliert.
 
- Herr Wilhelm Salzmann erhält eine Baugenehmigung für die Errichtungeines Wohnhauses am Propelweg (heute Talstraße). Dabei wird auf Forderung des Bürgermeisters auch hier eine solche Bebauung festgelegt, die eine spätere großzügige Verbreiterung der Straße in das Mihlaer Tal ermöglicht.
 
- Die in der Schornstraße geplanten Angestelltenhäuser (Polizeiwohnung u.ä. sollen so errichtet werden, daß die Straße dort noch mindestens 8 Meter breit ist.
 
April/Mai
 
- Die Mihlaer Feuerwehr führt eine Alarmübung durch. Schon 6 Minuten nach dem Alarm rückt die neue Motorspritze aus. Brandmeister Quehl, die Feuerwehrleute Karl Krauße, Richard Böttger, R. Böhnhardt und Paul Schuchardt sind daran beteiligt.
 
- Die Mihlaer Sanitätskolonne verfügt über 36 aktive Mitglieder.
 
- Der langjährige Mihlaer Arzt Dr. Eversverstirbt. Nach seinem Autounfall ist er nicht wieder vollständig genesen. Der Gemeinderat widmet dem verdienstvollen und beliebten Arzt einen ausführlichen Nachruf in der Zeitung.
 
- Im Mihlaer Rathaus kommt es zu einer gemeinsamen Beratung der Gemeinderäte von Ebenshausen und Mihla wegen der geforderten Umflurung von Werthausen. Die Ebenshäuser Vorstellungen werden vom dortigen Bürgermeister Lerp vorgetragen. Der Mihlaer Gemeinderat lehnt einstimmig das Projekt ab.
 
- Die Mihlaer SPD feiert den 1. Mai mit einer Kundgebung im "Mohren". Es spricht Pfarrer Fuchs aus Eisenach.
 
- Der Bauausschuß erteilt Herrn Erich Stahlbock die Baugenehmigung für ein neues Wohnhaus an der Teichwiese. Er soll das Haus gemeinsam mit Adam Lippold als Doppelhaus ausführen.
Weiterhin erhalten die Herren Wilhelm Ullrich und Gustav Fichtel ebenfalls die Baugenehmigung für ein Doppelhaus.
Bauinteresse wird durch Herrn Heinrich Meng mitgeteilt. Auch er will an der Teichwiese bauen.
 
- Ein Teil der Kirchhofmauer ist eingestürzt. Die Reparatur neben dem Grundstück Deichmüller kostet der Gemeinde 300 Mark.
 
- Die Tanksäule am Kaufhaus Radloff wird vorerst aus brandtechnischen Gründen zurückgestellt.
 
- Gendameriwachtmeister Gottlieb Stammberger,der seit 5 Jahren in Mihla tätig ist, wird in den Ruhe stand versetzt. Er zieht nach Wernershausen. Neuer Gendarm wird der Wachtmeister Bürger.
 
- Auf einer Mitgliederversammlung der Ortskrankenkasse geht es um die neue Besetzung der Kassenarztstelle in Mihla nach dem Tode von Dr. Evers. Der neue Anwärter, Dr. Köhler, soll angeblich Unterschlagungen begangen haben. Daher fordert die Versammlung mehrheitlich die Berufung von Dr. Plantsch.
 
- Drogist Thomas stellt den Antrag, seine Tankanlagevor der Drogerie von 3000 Liter auf 5000 Liter zu vergrößern. Ihm wird die Genehmigung erteilt, wenn er die Tankanlage vom Haus um einige Meter verlagert.
 
- Im Sitzungssaal des Rathauses wird die 1. Klasse unterrichtet. Bürgermeister Hörschelmannerklärt sich bereit, in die nun leerstehende Wohnung des Polizisten Stammberger in der Marktstraße einzuziehen und aus seiner Dienstwohnung im Rathaus durch Umbau einen weiteren Schulsaal zu gewinnen. Hierfür werden 500 Mark zur Verfügung gestellt.
 
Juni/Juli
 
- In Mihla beginnen Straßenerneuerungsarbeiten. 800 Meter der Ortsstraße sollen geteert werden.
 
- Ein Überfall auf die Abdeckerei am "Hexentanzplatz" ereignet sich. Am hellichten Tag wird der 14 jährige Sohn des Abdeckers, BrunoSchenkel, entführt. In Treffurt kann er aus dem Auto der Verbrecher entkommen.
 
. Die Firma Sieckmann und Specht im Roten Schloß, der es wirtschaftlich sehr schlecht geht, verkauft die Omnibuslinie an die Post.
 
- In der Mihlaer Zigarrenindustrie beginnt eine neue Absatzkrise. Die Zweiggeschäfte der Firma Brinkmann kündigen allen beschäftigten. Davon sind allein 250 Arbeiter, vor allem Frauen, betroffen.
 
- Die Mihlaer Turner nehmen am Bezirksturnfest in Berka teil.
 
August bis Oktober
- Am 7. August findet die Werraschwimmfahrt statt .Über 200 Gäste nehmen teil.
 
- Die "Eisenacher Zeitung" äußert sich in einem Leitartikel kritisch zur Schulsituation in Mihla. Darin heißt es: " In der Berufsschule gibt es 5 Klassen mit 115 Schülern, 2 hauptamtliche und 5 nebenamtliche Lehrkräfte. Hinzu kommt noch die ländliche Fortbildungsschule mit 29 Knaben und 1 Lehrer. In der Mihlaer Volksschule werden 289 Kinder von 7 Lehrern unterrichtet. Die Klassenstärke beträgt 36 Schüler... In Lauterbach werden 66 Schüler in 2 Klassen von 2 Lehrern unterrichtet..."
 
- Der extrem heiße Sommer führt zu Wassermangel im Ort. Die Einwohner schimpfen über die hohen Wasserpreise und darüber, daß mit dem Bau der neuen Wasserleitung beinahe alle alten Brunnen abgebrochen wurden.
 
- Der Saal der "Goldenen Aue" wird renoviert und erhält dabei durch den Kunstmaler Karl Räppold eine Ausstattung mit Gemälden aus der Mythologie.
 
- Dr. Köhler wird wegen falscher Beurkundung zu 6 Monaten Haft verurteilt.
 
- Der Gemeinderat zieht Fazit hinsichtlich des Wasserzins. Von eingeplanten Einnahmen in Höhe von 3000 Mark kamen nur 1000 Mark ein. Für die Reparatur von Wasserleitungsschäden mußten dagegen 2000 Mark aufgebracht werden. Zudem mußte fürdas Pumpenhaus auf der Pfarrwiese ein neuer Motor für 1300 Mark angeschafft werden.
 
- In Mihla ereignen sich mehrere schwere Einbrüche, so in den Gastwirtschaften "Zur Erholung", im "Mohren", im "Schwan" und in der Drogerie Thomas.
 
- Die Tankstelle vor der "Werradrogerie" wird fertiggestellt.
 

 
November/Dezember
 
- Der Bauausschuß beschließt den Ausbau der Lienigbrücke in Stahlbeton.. Bürgermeister Hörschelmann hat von den Werrawerken in Buchenau erreicht, daß diese sich an denBaukosten beteiligen, da der Weg unter dem Lienig für den Betrieb der Hauptzufahrtsweg ist. Die Ausführung übernimmt die Firma Schlothauer.
 
- Herr Rudolf Tuchscherer erhält die Baugenehmigung für einen Wohnhausbau an der Teichwiese.
 
- In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1929 wird die seit der Temperaturmessung in Mihla niedrigste Temperatur gemessen: -36 Grad Celsius.
 
- Am 8.12. finden Landtagswahlen statt. Wahlergebnis aus Mihla:
 
SPD: 599 Stimmen (+53 zur letzten Landtagswahl), Landbund - 184 Stimmen (-21),
KPD - 7 Stimmen (-21), DVP - 36 Stimmen (-47), DNVP - 10 Stimmen (-13),
NSDAP - 133 Stimmen (+ 127).