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Stand Juli 2020
Das Jahr 1930 - die Würfel fallen: Weltwirtschaftskrise und NSDAP Januar/Februar - Durch den Gemeinderat werden einheitliche Fernsprechgebühren für Mihla (monatlich 4 Mark) festgelegt. - In der Auseinandersetzung mit den Erben des Professors Binswanger muß die Gemeinde 7022 Mark nach Vorkriegswert aufbringen. Dieses günstige Ergebnis kam durch das Verhandlungsgeschick des Bürgermeisters zustande. - Der neugegründete Kriegsgeschädigtenverein führt seine Jahrestagung in der Gaststätte "Zur Erholung" durch. Vorsitzender ist Georg Klein. - Der Gemeinderat beginnt eine Auseinandersetzung mit dem Landeskirchenamt um die Höhe von Zahlungenfür bestimmte Gemeindeabgaben an die Kirche. Diese Forderungen stammen noch aus alter Zeit und beinhalten u.a. die Zahlungen für frühere Getreideabgaben, für 90 Wohnhäuser und Land im Lohfeld sowie für Wiesen und für die an die Lehrer zu gebenden "Gründonnerstagseier".Gefordert werden vom Landeskirchenamt jährlich über 400 Mark. Der Streit zwischen Gemeinde und Landeskirche zieht sich bis zum Herbst des Jahres hin. - Bürgermeister Hörschelmann erreicht, daß die an die Binswangerschen Erben zu zahlenden Gelder in drei Jahresraten bis Ende 1932 zu begleichen sind. - Wegen einer baulichen Veränderung, die ohne Genehmigung am Wohnhaus des Christoph Nowatzky neben dem neuen Spritzenhaus durch den Eigentümer vorgenommen wurde, kommt eszum Streit zwischen Gemeinde und Christoph Nowatzky. Der Bauausschuß erklärt die Vorgehensweise des Bürgermeisters für richtig, der den Eigentümer aufgefordert hat, wegen Baufälligkeit und Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dringend Baumaßnahmenzu ergreifen.Nun erfolgen diese ohne Genehmigung. März/April - Die Gerüchte um eine bevorstehende Zwangsversteigerung des Roten Schlosses bestätigen sich. Die Firma Sieckmann und Specht ist hoch verschuldet. - Der Mihlaer Gendarm Bürger wird zum Oberwachtmeister befördert. - Mit Stimmenmehrheit der SPD beschließt der Gemeinderat eine Leistungssteuer von allen freien Berufen: Bei einem Jahreseinkommen von 2000 bis 8000 Mark = 1 1/2 Prozent,bei einem Einkommen von 8000 bis15 000 Mark = 2 Prozent,bei einem Einkommen von 15 000 bis 25 000 Mark = 2 1/2 Prozent und über 25 000 Mark = 3 Prozent Steuer.Einkommen unter 2000 Mark bleiben steuerfrei. -Auch in der Mihlaer Schule werden täglich die vom NSDAP- Minister Frick angeordneten "Schulgebete" aufgesagt. - Der Plan des Kaufmanns Radloff in der Marktstraße eine Tanksäule zu errichten, wird endgültig abgelehnt. Der Bürgermeister schlägt vor, diese nun am Marktplatz zu errichten. Die Umsetzung des Vorhabens scheitert schließlich daran, daß die Betreibergesellschaft ablehnt. - Für das Neubaugebiet "Teichwiese" wird für die zukünftigen Bauplätze oberhalb des Straßenzuges Eschner - Rollberg ein Einteilungsplan erstellt. Es gibt weitere Bauinteressenten. Mai/Juni - Die Maifeier der SPD findet im "Mohren" statt. - Die SPD- nahe "Eisenacher Volkszeitung" wird wegen angeblicher Verleumdung des Ministers Frick für 14 Tage verboten. - Mihla hat ein modernes Fernsprechamt erhalten. - Durch einen Vertrag mit der Mitteldeutschen Plakatsäulenreklame werden im Mihla mehrere Litfaßsäulen aufgestellt. Eine steht noch heute auf dem Marktplatz. - Der Sommer bringt wieder eine große Trockenheit. Der Wasserhochbehälter reicht nicht aus, um den gesamten Ort zu versorgen.Mitte Juni richten schwere Gewitter großen Schaden an. - Die für das Frühjahr angesetzte Zwangsversteigerung des Roten Schlosses wird mehrfachverschoben. Schließlich steigt der Staat in die Schulden der Firma Sieckmann und Specht ein undübernimmt gemeinsam mit der Gemeinde die treuhänderische Verwaltung. - Der Mihlaer Konsumverein verfügt nach dem Zusammenschluß mit dem Eisenacher Verein über ausreichende Geldmittel, ein neues Verkaufsgebäude zu errichten. Das Grundstück am Bach auf dem Gelände der ehemaligen Schmiede ist bereits erworben. Nach dem gerade ablaufenden Abriß der alten schmiedegebäude soll der Neubau noch im Sommerbeginnen. - In der Auseinandersetzung mit Sieckmann und Specht soll die Gemeinde als Ausgleich für noch ausstehende Gelder aus Waldgrundstücken 5000 Stück Falzziegel der Ziegelei "Rotes Schloß" erhalten. Der Gemeinderat beschließt damit das Gebäude der Lehrerwohnungen in der Markstraße (Bürgerschule) neu einzudecken. Juli/August - In Mihla gehen wilde Gerüchte Um: Die Solvay- Werke in Buchenau würden demnächst billigere polnische Arbeiter einsetzen, dafür gäbe es Entlassungen in Größenordnungen. Aufgrund der wirtschaftlichen Lage ist die Situation sehr gereizt. Schließlich klären sich die Gerüchte auf: Es sind tatsächlich polnische Landarbeiter eingetroffen, sie sollen aber auf dem Gutshof in Buchenau zum Einsatz kommen. - Die"Eisenacher Volkszeitung" berichtet über den Rückgang der Schafzucht im Werratal. Als Hauptgrund wird angeführt, daß die Bauern in der jetzigen Krisenzeit alle früheren Hutungsflächen zum Anbau von Getreide und Kartoffeln nutzen. - Ende Juli werden 2 neue Kraftomnibuslinien eröffnet: Eisenach- Mihla- Mühlhausen und Eisenach- Mihla- Berka. - In der Gaststätte "Goldene Aue" wird ein "Werkturnen" vorgeführt. Die Leitung hat Turnwart Albert Fehr. - Die Zahl der Arbeitslosen in Mihla ist imSommer von 297 auf 329 gestiegen. Außerdem gibt es 103 Kurzarbeiter. - Am 1. August findet die 12. Mihlaer Schwimmfahrt statt. 170 Schwimmer nehmen teil. - Die für September angesetzten Reichstagswahlen werfen ihre Schatten voraus. Die Parteien führen Wahlversammlungen durch. Ende August eröffnet die NSDAP diesen Reigen. Der Redner Becker hält eine scharfe Abrechnung mit der SPD. Seine Ausführung, die von den zahlreich anwesenden SPD- Genossen mit Pfiffen und Zwischenrufen beantwortet werden, gipfeln in den Worten: "Entweder, wir ersticken im Dreck, oder wir beseitigen ihn mit aller Kraft!" Die Wahlveranstaltung wird von einer "Kampfparade" der Eisenacher SA begleitet. - In der Schornstraße und im Lohfeld werden Wasserleitungsanschlüsse verlegt. Die Arbeiten werden durch die Anschlußnehmer selbst durchgeführt. - Im Wohngebiet "Teichwiese" werden die Bürgersteige entlang des Straßenzuges Grundstück Eschner (heute Nickol) bis Rollberg auf 3 Meter Breite ausgebaut, damit zurStraßenseite hin noch eine Bepflanzung mit Bäumen erfolgen kann. Die Straße selbst erhält eine Breite von 6 Metern. - Der Gehweg entlang der Markstraße und der Münsterstraße soll nach einem Beschluß des Bauausschusses mit neuen Gehwegplatten verlegt werden. September/Oktober - Anfang September findet die Wahlversammlung der DDP statt. Die Rede hält der Landwirt Wienstedt. Er spricht zur "Not der Gegenwart, ihren Gründen und ihrer Beseitigung". Erneut werden scharfe Angriffe gegendie SPD vorgetragen. - Am 12. September wird das neu eingerichtete Postamt in der Bahnhofstraße eröffnet. - Die SPD führt ihre Wahlveranstaltung durch. Im Gegensatz zu den anderen Parteien ist der "Mohrensaal" diesmal übervoll. Die Wahlrede hält der Landtagsabgeordnete Hermann Leber. - Bürgermeister Hörschelmann konnte durch Verhandlungen 21 000 Mark an Staatsbaudarlehen für die gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft "Gagfach" binden. Dadurch können den Bauwilligen im Wohngebiet "Teichwiese" recht günstige Konditionen eingeräumt werden. Für eine Parzelle von 400 Quadratmetern muß der Käufer 1,50 Mark/Quadratmeter an die Gemeinde zahlen. Nach Fertigstellung des Rohbaus sollen die staatlichen Baudarlehen zur Anwendung gebracht werden,die mit lediglich 3 Prozent Zinsen belastet sind. Als weitere Bauwillige haben sich die Bauherren Moschkau, Vogt, Wiener, Fehr, Andreß und Ullrich zu einer entsprechenden Beratung im Rathaus eingefunden. Damit ist das Wohngebiet beinahe vollständig belegt. - Nach dem bisher für Mihlaer Verhältnisse einmaligen Wahlkampf wird am 14. September wie folgt gewählt: SPD: 595 Stimmen, KPD: 114 Stimmen, DNVP: 23 Stimmen, DVP: 20 Stimmen, Staatspartei: 23 Stimmen, Wirtschaftspartei: 29 Stimmen,Christliche Bauern: 158 Stimmen NSDAP: 172 Stimmen.Im Verhältnis zu den letzten Reichstagswahlen verbessert sich die SPD um 52 Stimmen, die NSDAP aber um 172 Stimmen und die KPD um 97 Stimmen.Das Wahlergebnis im Reich führt schließlich zur Bildung einer "Großen Koalition" unter Kanzler Müller (SPD) - Die Eisenacher Aktienbrauerei überläßt dem Wirt der "Goldenen Aue", Gustav Engelhardt, die Kantine auf dem Propel zur Nutzung. Die Holzbaracke stammt noch aus der Zeit des Bahnbaus in Mihla.Gustav Engelhardt übergibt sie dem Turnverein, der sie wenig später, nach Abschluß der Umbauarbeiten am neuen Sportplatz, dem früheren "Darrgarten", als Turnhalle aufstellt. Das zuletzt in der Kantine auf dem Propel untergebrachte Mihlaer Arbeitsamtmuß dort ausziehen, nachdem die Gemeinde gekündigt hat. November/Dezember: - Die Zigarrenfabrik Bruns aus Eisenach eröffnet einen Filialbetrieb in Mihla. - Nach längerem Briefwechsel wird der Streit zwischen der Gemeinde und dem Landeskirchenamt beigelegt. Die Kirche verzichtet auf weitere Entschädigungen aus der Gemeindekasse. Die politische Gemeinde verpflichtet sich, jährlich 200 Mark an die Ortskirchenkasse zu zahlen. Diese Zahlungen bleiben bis zur Gegenwart erhalten. In Mihla gründet sich ein Verkehrsverein. Vorsitzender wird der Landwirt Wilhelm Gernandt, Kassierer ist der Rentmeister Cnyriem. - Im Dezember wird Bürgermeister Hörschelmann bei der Ausübung seiner Aufsichtspflicht hinsichtlich der Durchsetzung von Beschlüssen des Bauausschusses tätlich von einem Bürger auf dem Markt angegriffen und mit einem Schaufelstiel zu Boden geschlagen. Die Verletzung ist recht schwerwiegend, so daß der Bürgermeister für längere Zeit krank ist und auch später nie wieder inden Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte gelangt. Die Jahre 1931 und 1932 - Die Würfel sind im Fallen - Um die Geschehnisse im Jahre 1933, die Umkehrung aller bisherigen politischen Verhältnisse, verstehen zu können, ist es notwendig, sich mit den Entwicklungen der Jahre zuvor zu beschäftigen. Auffallend ist dabei, daß sich viele der in Deutschland oder in Thüringen ablaufenden Entwicklungen auch so für Mihla nachweisbar sind. Die Wirtschaftskrise, die im Oktober 1929 inden USA ausgebrochen war, erreichte in Deutschland, nun bereits zur Weltkrise aufgebläht, Ende 1930 ihre volle Stärke. Nach dem Zusammenbruch der österreichischen Banken gerieten auch die großen deutschen Bankhäuser in die Krise. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe und lagen im Sommer 1932 schließlich bei über 6 Millionen offiziell registrierter Menschen. Die seit März 1930 in Verantwortung befindliche Minderheitsregierung unter Kanzler Brüning konnte nur durch Notverordnungen gegen den politisch völlig zerstrittenen Reichstag arbeiten; keine der Maßnahmen zeigte allerdings nachhaltige Erfolge. Inzwischen gelang die Sammlung aller rechten, republikfeindlichen und nationalen Bewegungen. Im Oktober 1931 kam in Bad Harzburg ein Bündnis zwischen NSDAP, DNVP und dem Stahlhelm zustande. Hitler und sein Massenanhang erschien wichtigen Männern in Industrie und Politik immer mehr als "Retter in der Not", vor allem Dingen dann, wenn er durch verläßliche konservative Politiker kontrolliert bliebe. Doch das Bündnis gestaltete sich recht brüchig. Hitler schätzte sich und seine Bewegung als stark genug ein, bei den im März 1932 anstehenden Reichspräsidentenwahlen gegen den Partner DNVP und dessen Kandidaten Duesterberg anzutreten. Die Reichspräsidentenwahlen im März 1932 eröffneten einen Wahlmarathon, der das gesamte Jahr hindurch anhielt und wichtige Vorentscheidungen für Deutschlands Zukunft erbrachte. Am 13. März kam zunächst kein neuer Präsident zustande, da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichte. Hindenburg, bisheriger Amtsinhaber und Kandidat der "Weimarer Parteien"einschließlich der SPD, erreichte 49,6 Prozent, Hitler, Kandidat der NSDAP, kam auf 30,1 Prozent, Duesterberg für die DNVP auf 6,8 Prozent und Thälmann für die Kommunisten konnte 13,2 Prozent erzielen. Die SPD hatte auf einen eigenen Wahlvorschlag verzichtet und unterstützte den monarchistischen Politiker Hindenburg (!), ein Umstand, der viele potentielle Wähler stark verunsicherte. Im zweiten Wahlgang erreichte Hindenburg 53 Prozent, vor allem durch die Schützenhilfe der DNVP, die auf eine erneute Kandidatur von Duesterberg verzichtete und gegen Hitler Wahlkampf betrieben hatte. Hitler kam auf 36,8 Prozent, ein unmißverständlicher Achtungserfolg, aber nicht der gewünschte Durchbruch. Dieser zeigte sich allerdings im nachfolgenden Monat, als die NSDAP bei Landtagswahlen in Preußen, in Würtemberg, Anhalt und Hamburg jeweils stärkste Partei wurde und in Bayern auf Platz 2 vorrückte. Die Wahlkämpfe, inzwischen auch auf dem Lande mit äußerster Brutalität von Schlägerkolonnen der SA, der "Eisernen Front" und des "Rotfronttkämpferbundes" geführt, gingen ohne Unterbrechung weiter und erstickten bald alle Normalität, wurden vielmehr selbst zur Normalität. Im Juni wurde Franz von Papen neuer Reichskanzler und für den 31.Juli ließ Hindenburg Reichstagswahlen ansetzen. Vorher gelang es der NSDAP auch in Oldenburg und Mecklenburg- Schwerin, die Landtagswahlen zugewinnen und dort sogar die Ministerpräsidenten zu stellen. Die Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 sahen auch in ganz Deutschland die NSDAP mit 37,3 Prozent als Gewinner. Am gleichen Tag wurde der 6. Thüringer Landtag vorfristig gewählt, da die Rechtsregierung Baum - Frick zerbrochen war. Die NSDAP erreichte in Thüringen mit 42,5 Prozent ihr bis dahin bestes Ergebnis und konnte gemeinsam mit dem rechtsgerichteten Landbund die Regierung übernehmen. Ministerpräsident wurde der NSDAP- GauleiterFritz Sauckel. Damit war für Thüringen schon vor Hitlers Machtantritt das Ende der parlamentarischen Demokratie gekommen. Ergebnisse der Wahlen zum 6. Thüringer Landtag vom 31. Juli 1932 (61 Sitze): KPD - 10 MandateSPD -15 MandateDDP - 1 MandatDVP - 1 MandatDNVP- 2 MandateNSDAP- 26 MandateLandbund- 6 Mandate Der Herbst des Jahres 1932 ließ die politische und wirtschaftliche Krise des Staates ins Unkontrollierbare stürzen. Nachdem Franz von Papen im September den gerade neu gewählten Reichstag wieder auflöste, weil er seinen Gesetzvorlagen nicht zustimmte, wurden für den 6. November erneute Reichstagswahlen angesetzt. WichtigstesErgebnis dieser Wahl: Die NSDAP, offensichtlich abgekämpft, vor allem machte sich unter ihrer Wählerschaft Resignation wegen der ständig verfehlten Macht breit, verlor über 2 Millionen Stimmen und kam "nur" noch auf 33,1 Prozent. Gewinner der Wahl war die KPD, die ebenfalls auf der Woge der Wirtschaftskrise schwimmend, 16,9 Prozent erreichte und als einzige Partei erheblich an Wählerstimmen zulegte. Die SPD kam auf 20,4 Prozent. Papen trat als Kanzler zurück. Hindenburg zögerte nun erst recht, Hitler als neuen Kanzler zu berufen. Kanzler wurde der farblose General von Schleicher, der versuchte an der NSDAP "Vorbei" zu regieren. So ging das Jahr zu Ende, ohne daß eine politische Entscheidung gefallen war. Im Gegenteil, die Menschen hatten gänzlich das Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie verloren. Deutschland, weiter denn je von wirtschaftlicher und politischer Stabilität entfernt, drohte im Chaos der Arbeitslosigkeit und der politischen Witten zu versinken.
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