Mihlaer Jahreschronik

Das Jahr 1920

 
 
Das zweite Jahr der Weimarer Republik brachte für die Menschen spürbar vor allem zwei Entwicklungen hervor:
Die politischen Auseinandersetzungen um die Zukunft der Republik nahmen an Schärfe zu und wurden immer häufiger mit Gewalt ausgetragen.
Gleichzeitig verschlechterte sich die soziale Lage ständig, vor allem durch die rasch zunehmende Geldentwertung.
 
Im März 1920 führten weitere Reduzierungen in der Stärke der ehemaligen Kaiserlichen Armee ( im Versailler Vertrag waren 100.000 Mann festgelegt) zu Spannungen in den abzubauenden Einheiten. Vor diesem Hintergrund putschten rechte Freikorps gegen die legale Reichsregierung in Berlin. Der "Kapp- Putsch" brachte die Republik an den Rand des Untergangs.Erst ein Generalstreik, von Parteien und Gewerkschaften organisiert, führte zum Rücktritt des selbsternannten neuen Reichskanzlers Wolfgang Kapp, der danach in das neutrale Schweden floh. Anschließende Aufstände linker Gruppierungen, vor allem im Ruhrgebiet, aber auch in Thüringen (zum Beispiel in Gotha) wurden im Blute ertränkt. Nun schoß die Reichswehr, die vorher unter der Parole "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr" den Befehl verweigert hatte.
 
Diese Ereignisse, die auch in unmittelbarer Nähe, in Eisenach, zu Toten führten, hatten direkte Folgen für die weitere politische Entwicklung. So verlor die SPD bei den Landtags- und Reichstagswahlen des Jahres 1920 erheblich an Wählerstimmen. Die gleichzeitig wirksam werdende "Dolchstoßlegende", die der frühere Generalfeldmarschall des Kaisers, Paul von Hindenburg, ungestraft verbreiten durfte, tat ein Übriges, um rechte Auffassungen und Haltungen zu mehren. Eine merkliche Radikalisierung des politischen Umgangs begann...
 
So erreichte die SPD bei den Landtagswahlen 1920 in Thüringen gemeinsam mit der ebenfalls "staatstragenden" DDP nur noch 15 Mandate, während die linksradikale USPD ebenfalls auf 15 Sitze kam. Der rechtsgerichtete "Landbund", eine speziell thüringische Entwicklung unter der Parteienlandschaft, erzielte 11 Sitze und die monarchistische DNVP 4.
 
Diese politischen Entwicklungen spiegelten sich auch im Ortsgeschehen in Mihla wider. Wichtige Probleme für die Mihlaer waren jedoch auch die Auseinandersetzungmit der Überlandzentrale Mühlhausen um die Strompreise und die Streitereien mit dem Rittergutsbesitzer Lichtenberg, der sich immer mehr als "Güterschlächter" erwies.
 

 

 
Januar:
 
- Nach dem Einsetzen von Tauwetter kommt es zu extremen Hochwasser auf der Werra. Sturm und Gewitter erschweren die Wettersituation.
 
- Der Streit zwischen der Gemeinde Mihla und der Überlandzentrale Mühlhausen geht weiter und verschärft sich.
Die Überlandzentrale lehnt die von der Gemeinde Mihla geforderteHerabsetzung der Strompreise ab, im Gegenteil, diese werden weiter erhöht.
Auch der Streit mit dem Rittergutsbesitzer Lichtenberg geht weiter. Dieser hat untersagt, daß in seinen Wäldern "Leseholz" gesammelt wird.
Mitte Januar findet auf dem Saal der "Goldenen Aue" eine Bürgerversammlung wegen der Strompreise statt. Es wird mehrheitlich beschlossen, die neuen Preise der Überlandzentrale (1,70 RM für Lichtstrom, 0,85 RM für Kraftstrom und 1,40 RM für die Straßenbeleuchtung) zu zahlen, aber "nurunter Protest", wie im Protokoll vermerkt wird.
 

März/April:
 
- Das schon im Jahre 1919 vorbereitete Kinderbad im "Nassen Sack" wird durch Dr. Ewers in Betrieb genommen. Es geht darum, die besonders unter den Arbeiterkindern häufige Volkskrankheit Tuberkulose besser bekämpfen zu können.
 
- In den Lichtenbergschen Wäldern beginnt ein großer Holzeinschlag. Lichtenberg hat innerhalb eines Jahres bedeutende Teile des ehemaligen Roten-Schloß-Gutes zu Geld gemacht.
 
- Auf dem Saal der "Goldenen Aue" wird ein Operettenabend des Eisenacher Stadttheaters durchgeführt.
 
Mai:
 
- Baron von Harstall stellt Ländereien für die Anlage von Schrebergärten entlang der Bahnlinie zur Verfügung.
 
- In den Nachbarorten Neukirchen, Ebenshausen, Frankenroda, Nazza, Hallungen und Lauterbach werden Volksabstimmungen hinsichtlich der Zugehörigkeit dieser ehemals zum Herzogtum Gotha gehörigen Orte in den neuen Landkreis Eisenach durchgeführt. Alle Orte sprechen sich für ein Überwechseln inden Landkreis Eisenach aus.
 
Juni:
 
- Nachdem die im Januar 1919 gewählte Nationalversammlung eine neue Verfassung ausgearbeitet hat und die Regierungsbildung beendet ist, finden im Juni die Wahlen zum 1. Deutschen Reichstag auf Grundlage der neuen Verfassung statt.
Gleichzeitig werden am 20. Juni auch Landtagswahlen in Thüringen durchgeführt:
 
In Mihla stimmen für die
-Deutsch- Nationale Volkspartei (DNVP): - 70 Wähler
-Deutsche Volkspartei (DVP): ------------ 22 Wähler
-Bauernvereinigung: -------------------- 225 Wähler
-Demokratische Partei (DDP): ------------ 53 Wähler
-SPD: ---------------------------------- 150 Wähler
-USPD: --------------------------------- 397 Wähler.
 
- Gutsbesitzer Lichtenberg schenkt der Gemeinde 600 Acker Buchenbestand und überweist ihr 400.000 Reichsmark als geforderte Vermögensabgabe.Damit soll der Streit endgültig abgeschlossen werden. Durch die Inflation liegt die Summe allerdings unter den eigentlichen Forderungen der Gemeinde.
 
- Mihla wird innerhalb der Gebietsreform an den Verband der Landgemeinden des III. Verwaltungsbezirkes Eisenach angegliedert.
 
- Professor Binswanger hat den Rentenmeister Cnyrim Beauftragt, alle im Ort noch ausgeliehenen Kapitalien zu kündigen.
 

 
Juli:
 
- Am Westthüringer Gauturnfest nehmen 6 Turner aus Mihla teil.
 
- In Mihla wird wieder die "Werraschwimmfahrt" durchgeführt. Der Andrang ist so groß, daß extra ein Sonderzug eingesetzt werden muß. Organisator ist erstmals der Thüringer Verband der Schwimmvereine (Vgl. "Mihlaer Schwimmfahrten").
 

August/September:
 
- In Buchenau laufen Vorbereitungen zum Bau einer Sodafabrik an. Bauherr ist der Kommerzienrat von Dreyse.
 
- Die Errichtung eines Kriegerdenkmals für die Gefallenen des Weltkrieges wird vom Gemeinderat beschlossen. Die Bauausführung soll die ortsansässigeFirma Schlothauer übernehmen.
 
- Die ständig zunehmenden Arbeitslosenzahlen führen dazu, daß die Gemeinde erneut beschließen muß, Arbeitslose zu Notstandsarbeiten einzusetzen.
 
Oktober/November:
 
- Die zweite Kirmes nach dem Krieg wird in Mihlagefeiert. Es gibt Tanz auf drei Sälen, bei Stein, im "Mohren" und in der "Aue".
 
- Der "Werra- Werken AG" wird von den Behörden die Genehmigung erteilt, durch Kauf vom früheren Besitzer von Dreyse die Voraussetzungen für den Bau der Sodafabrik inBuchenau zu schaffen.
 
Dezember:
 
- Frau Evers gibt vor dem Gemeinderat einen Bericht über die Arbeit der Mihlaer Lungenfürsorgeanstalt.
 
- Ein weiterer Schutzmann wird durch den Gemeinderat beantragt.
 
- Die Mühlhäuser Überlandzentrale erhöht erneut die Strompreise. Die Erregung unter den Einwohnern ist groß. Die Gemeinde protestiert offiziell. Für den Januar wird eine weitere Bürgerversammlung in die "Aue" einberufen.
 

- Die erste gemeinsame Sitzung der Gemeinderäte von Lauterbach und Mihla findet statt. Der Druck der Landesbehörden, beide Orte im Rahmen der Verwaltungsreform zusammenzuschließen, wird immer größer. Auf der gemeinsamen Sitzung wird zunächst über ein dringendes praktisches Problem gestritten; den Bau einer gemeinsamen Wasserversorgungsanlage.
 
- Das Jahr geht mit einer weiteren schlechten Nachricht zu Ende: Das Lichtenbergsche Grundstück ist mit Schulden in Höhe von 1,5 Millionen RM belastet. Lichtenberg stellt den Holzeinschlag in seinen Wäldern ein.
 

 

 
Das Sägewerk von Wüstefeld und Kraft im Mihlaer Tal
 
Die großen Hainichwälder mit ihren unendlichen Buchenbeständen sorgten dafür, daß es in den Orten rund um das Mittelgebirge viele Sägewerke gab. Besonders in Zeiten starker Nachfrage nachSchnittholz und Eisenbahnschwellen breiteten sich Sägewerke rasch aus und wurden sogar mitten in den Wäldern errichtet. Begünstigt waren allerdings jene Ortschaften, die über einen Bahnanschluß verfügten.
 
Mihla wurde so im Verlaufe der Zeit Standort von 2 Betrieben der Holzverarbeitung. Die Anfänge dieser Betriebe liegen jedoch nicht im Ort, sondern im Hainich, auf dem sogenannten "Alten Feld", am Ausgang des Mihlaer Tales.
 
Der frühere Major Ferdinand von Wüstefeld hatte mit seinem Partner Kraft 1908 bei München bereits ein Sägewerk betrieben. Um das Jahr 1911 gelang es ihm nach zwei kurzlebigen Versuchen in der Nazzaer Flur ( auf dem "Hahnroda" und im Schliemengrund) Waldgrundstücke bei Mihla zu erwerben. Auf dem Alten Feld entstanden die Gebäude eines festen Sägewerkes.
 
Links vom Wege standen der Maschinenschuppen mit einer Dampfmaschine, die das Gatter antrieb. Daneben der sogenannte "Bündelschuppen". Zur Ausstattung des Sägewerkes gehörten auch Bandsägen und Rundstabmaschinen. Pferdeställe und Geräteschuppen gruppierten sich um das Maschinenhaus. Die im Wald geschlagenen Holzstämme wurden von Pferdegeschirren bis zum Sägewerk geschleppt, auch die verarbeiteten Hölzer mußten mit Pferdegespannen zum Mihlaer Bahnhof gefahren werden. Mehrere Geschirre waren ständig im Einsatz.
 
Im Sägewerk waren Arbeiter aus Mihla, Nazza, Lauterbach, Bischofroda und sogar aus entfernteren Ortschaften angestellt. Für die Arbeiter gab es aus Holz errichtete Unterkünfte, die vor allem im Winter genutzt wurden, wenn sich der Rückmarsch zum Wohnort nach der Tagesarbeit nicht mehr lohnte.
 
Rechts vom Weg, unterhalb des "Eierberges", standen die "Meisterwohnungen", zwei feste Holzhäuser im bayrischen Stil, in dem die Familien Wüstefeld und Kraft lebten. Mit dem Wohnhaus Kraft hat es eine ganz besondere Bewandtnis: Nachdem das Sägewerk Anfang der 20er Jahre auf dem Alten Feld abgebaut und nach Mihla verlagert wurde, baute man auch dieses Wohnhaus ab und errichtete es neu am ursprünglichen neuen Mihlaer Standort am Viehrasen. Dort steht dieses Gebäude, die "Kraftsche Villa", noch immer.
 
Die kleine Siedlung auf dem Alten Feld erhielt frisches Wasser aus einer Quelle am Kaiserberg.
Auch selbst angebaute Kartoffeln gediehen auf dem Boden gut. Kein Wunder, war das Gebiet doch uraltes Siedlungsgebiet. Dort stand einst das Dorf Harstall, nachdem sich die in der Region so bedeutsame Adelsfamilie von Harstall benannte. Nach dem Wüstwerden des Dorfes im 15. Jahrhundert nutzten die wohl nach Mihla gezogenen einstigen Bewohner einen Teil der Ackerflur, eben das "Alte Feld"; weiter. So berichteten ehemalige Arbeiter des Sägewerkes, daß man bei den Aufstellungsarbeiten für die Meisterhäuser auf alte Grundmauern und Kellergestoßen sei, vielleicht auf den am Hang des Eierberges vermuteten früheren Burgsitz derer von Harstall?
 
In der Mihlaer Überlieferung haben sich mehrfach Berichte über Schadfeuer im Sägewerk erhalten. Hauptursache waren das zur Parkettherstellungnötige Vorheizen und Härten des Holzes mit Feuer und die Dampfmaschine zum Antrieb des Gatters. So brannte ein Teil des Betriebes am 2. Mai 1915, damals der 2. Pfingsttag, ab.
 
Ende des Jahres 1919 erwarb die Firma ein größeres Areal am Mihlaer Viehrasen, in der Nähe des Mihlaer Bahnhofes. Die Gemeinde war damals mit der Äußerung, Mihla gänzlich zu verlassen, wenn es nicht zum günstigen Verkauf der Fläche kommen würde, sehr unter Druck gesetzt. Insgesamt 2,6 Hektar Land wurden so für nur 10.000 Reichsmark erworben. Hinzu kam das Versprechen, vor allem Mihlaer Einwohner zu beschäftigen.
 
So wurde das Alte Feld verlassen. Das Sägewerk in Mihla erfuhr dann noch einmal eine Verlagerung in die Bahnhofstraße, nachdem es gelungen war, dort einen extra Gleisanschluß zu erhalten.