Mihlaer Jahreschronik  
 
Vorbemerkungen zu den Jahren 1924 und 1925
 
Die ersten vier Jahre der Weimarer Republik hatten viel Unruhe in das Leben der Menschen gebracht. Diese resultierte vor allem aus dem verlorenen Krieg, der daraus resultierende Not und dem vielfache Elend der Kriegswitwen und Waisen, aus wirtschaftlichen Problemen, durch die hohen Kriegsentschädigungen nochweiter verschärft, sowie aus einer ständigen politischen Unsicherheit
1923 stellte die Inflation jedoch alles bisher Erlebte noch auf den Kopf. Einfache Arbeiter wurden in wenigen Tagen zu Millionären und konnten doch von diesen Geldern ihre Familien nicht ernähren! Neue, bisher nicht gekannte Unsicherheiten im dörflichen Leben brachen auf, neue politische Anschauungen faßten auch in den Dörfern des Werratales lautstark Fuß.
 
Vom Herbst 1923 bis zur Landtagswahl im Februar 1924 herrschtein Thüringen Ausnahmezustand. Das Wahlergebnis vom Februar 1924 spiegelte die nach vier Jahren Demokratie erreichte Situation wider:
 
Gewinner der Wahl war der "Thüringer Ordnungsbund", ein Zusammenschluß bürgerlicher Parteien. Seine Wahlkampflosung "Das ganze Land kam auf den Hund, nun rettet nur der Ordnungsbund" wurde alsbald in die Tat umgesetzt. Viele der in Thüringen begonnenen Reformen der vormaligen SPD- Regierung wurden abgebrochen, dies betraf den wirtschaftlichen Bereich und auch die Schulbildung. Die Fürsten wurden für ihre 1918 in der Revolution erlittenen
Verluste abgefunden.
 
Einen enormen Stimmenzuwachs erreichten auch die radikalen Parteien. Die KPD kam von 6 auf 13 Mandate, die "Völkische Liste", ein Zusammenschluß der Rechten erreichte 7 Sitze. Deren Vorsitzender Artur Dinter wechselte wenig später in das Lager der Nationalsozialisten (NSDAP). Dinter wurde zum ersten Nazi - Gauleiter in Thüringen.
 
War die Politik früher von der Duldung durch die starke KPD-Fraktion im Landtag abhängig, so hatten sich nun die Fronten gänzlich gewandelt. Regiert werden konnte wegen fehlender Mehrheiten nur noch mit Hilfe der rechten Parteien. Trotzdem brachten die nächsten Jahre die von allen erwünschte Beruhigung und Stabilisierung. Die "Goldenen Zwanziger" begannen und hielten auch einige Jahre an.
 
Die Zigarrenindustrie im Werratal erholte sich aus der tiefen Krise des Jahres 1923. Auch in der Landwirtschaft belebten die stabilen Preise die Geschäfte. Davon profitierten zuerst die Rittergutsbesitzer in Mihla, der alte Baron von Harstall, dessen Schwiegersöhne von Gudenberg und Große- Brauckmann, sowie der Besitzer des Roten Schlosses, Lichtenberg, die einen Teil ihrer Schulden abzahlen konnten.
 
In Mihla begann in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ein wahrer Bauboom. Neubaugebiete entstanden und Straßen wurden gebaut. Es sah gut aus für die Zukunft.
 
Geselligkeit zog wieder in das dörfliche Leben ein. Davon zeugen die vielen Vereinsfeste der Jahre 1924 und 1925.
 
Wichtig für die Bewohner Mihlas und Lauterbachs war die durch ständige Proteste 1924 erzwungene Aufhebung der Zwangsvereinigung der Orte. Damit hatten vor allem die Lauterbacher letztlich einen Sieg gegen die Behörden und deren Verwaltungsreform erkämpft. Die Folgen der ungeliebten Vereinigung sind jedoch noch bis heute zu spüren.
 
 
 
 
 
 
Das Jahr 1924
 
 
Januar/Februar
 
- Das Arbeitsamt Eisenach vermeldet eine ständige Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in der Zigarrenindustrie.Die Anzahl der Erwerbslosen nimmt von Woche zu Woche ab.
 
- Der Mihlaer Gemeinderat faßt den Beschluß, das Schulgeld neu zu berechnen und die Zahlung in der neuen Währung, der Goldmark, abzufordern. Jedes Haus mit schulpflichtigen Kindern soll eineMark zahlen.
 
- Der Mihlaer Friedhof, vor 50 Jahren von der Kirche an den neuen Standort verlegt, ist übervoll. Es gibt daher Anträge im Gemeinderat, eine Verlagerung vorzubereiten.
Nach längerer Diskussion werden drei neue Standorte vorgeschlagen:
Am Hainberg, am Propelweg und im Lohfeld.
 
- In der "Goldenen Aue" findet eine Ortsversammlung der SPD statt. Es geht um die Vorbereitung der Landtagswahl im Februar.

 

März/April
 
- Die Brauerei "Rotes Schloß" stellt ihre Produktion ein. Der Besitzer Lichtenberg hat das genehmigte Braukontigent an die Aktienbrauerei nach Eisenach verkauft. Auch die noch recht neue Braueinrichtung im Cuxhof wird zu Geld gemacht. Damit erlischt das uralte (seit dem Jahre 1533 nachgewiesene) Braurecht in Mihla.
 
- In Mihla werden Ende April 42 Langzeitarbeitslose gezählt.
 
- Der Druck, vor allem der Lauterbacher, auf die Landesregierung, die Zusammenlegung von Lauterbach und Mihla aufzuheben, ist in den letzten Wochen immer größer geworden.Immer wieder werden Petitionen an den Landtag geschrieben. Nach der Bildung der neuen Landesregierung wird nun den beiden Gemeinden signalisiert, man möge in den Gemeinderäten Aufhebungsbeschlüsse fassen. Diese würden dann vom Landtag genehmigt und die Verschmelzung wieder rückgängig gemacht.
 
- Oberlehrer Mohr aus Mihla ist 40 Jahre im Schuldienst.
 
- Die Maul- und Klauenseuche wütet in Mihla.
 
- Der Thüringer Handwerkerverein, der in Zusammenarbeit mit der Carl- Grübel- Stiftung in Gothadie Handweberei in den Orten des Werratales unterstützte, hat sein gesamtes Vermögen dem Nazzaer Kaufmann Oskar Bergmann vermacht, der nun das vereinzelt noch anzutreffende alte Weberhandwerk fördert.
 
Mai
 
- Am 1. Mai führt die Mihlaer SPD eineKundgebung durch. Der Eisenacher SPD- Politiker Schrot spricht vor Hunderten Mihlaern. Es geht vor allem um die bevorstehende Reichstagswahl.
 
- Am 4. Mai findet die Reichstagswahl statt. Die Ergebnisse aus Mihla:
 
-Völkisch- Sozialer Block:----- 48 Stimmen
-Landbund:-------------------- 469 Stimmen
-Vaterländischer Volksverein: - 43 Stimmen
-DVP:-------------------------- 68 Stimmen
-SPD: ------------------------ 590 Stimmen
-DDP: ------------------------- 41 Stimmen
-USPD: ------------------------ 14 Stimmen
-KPD: ------------------------- 19 Stimmen
 
Gewinner der Wahl sind die Rechtskräfte. Erstmals kommt die NSDAP von Adolf Hitler auf 6,5 % der Wählerstimmen und stellt 32 Abgeordnete, die DNVP erreicht gar 19,5 %, die DVP 9,2 %. Der Landbund, beinahe nur in Thüringen stark, erreicht 1,9 Prozent (10 Abgeordnete) und geht bald mit der NSDAP zusammen. Die SPD verliert an Stimmen und erreicht im Reich nur noch 20,5 Prozent, die USPD versinkt in Bedeutungslosigkeit mit 0,7 Prozent. Starke Gewinne kann die KPD (12,5 Prozent) verzeichnen. Eindeutig schlägt auch bei dieser Wahl das Krisenjahr 1923 voll durch und stärkt vor allem die radikalen Parteien. Die Mihlaer SPD kann dagegen ihre führende Rolle beim Wählerverhalten knapp behaupten.
 
- Ende Mai wird mit Bescheid des Landes die Gemeinde Mihla einschließlich Lauterbach aufgelöst.
Lauterbach wird wieder eigenständig
 
- In Mihla wird ein erstesRadio bei Alfred Hasert in Betrieb genommen.
 

Juni
 
- Im Saal der "Goldenen Aue" wird ein bunter Unterhaltungsabend durch die Mihlaer Schule geboten. Organisiert hat die Veranstaltung der neue Lehrer Jaschke. Die Veranstaltung ist jedoch schlecht besucht.
 
- Die neugegründete "Thüringer Schaubühne" zeigt in der "Goldenen Aue" "Kabale und Liebe".
 
- Nachdem Lauterbach wieder selbständig geworden ist, müssen neue Gemeinderatswahlen durchgeführt werden. Sie finden am 16. Juni statt und bringen folgendes Ergebnis:
 
SPD ------------------------------ 262 Stimmen
Wirtschaftspartei (Liste mit SPD - 259 Stimmen,
Bürgerliche Gewerbetreibende ------ 98 Stimmen
Bauernbund ----------------------- 257 Stimmen.
 
11 Sitze im Gemeinderat sind nach der Kommunalordnung Thüringenszu vergeben. Die SPD und die Wirtschaftspartei erhalten davon 7, erreichen also die absolute Mehrheit im Rat, 4 Sitze fallen an die beiden anderen Vereinigungen.
 
- Zur ersten Sitzung des neugewählten Rates wird Heinrich Merten (SPD) zum Vorsitzenden des Rates gewählt.
 
Juli/August
 
- Der Zahnarzt Hans Kramer läßt sich als Kassenarzt in Mihla nieder.
 
- Der Gemeinderat beschließt, Erwerbslosen künftig am Tage für 8 Stunden zur Arbeit heranzuziehen. Als Notstandsarbeiten werden Maßnahmenim Straßenbau festgelegt, so die Befestigung der Straße Mihla- Scherbda sowie die Ortsstraßen am Münster, Pfarrmünster und das Eisfeld.
 
- Es wird beschlossen, das Rathaus abputzen zu lassen.
 
- Die Kanalisationsarbeiten in der Dietzelsgasse werden abgeschlossen.
 
September/Oktober
 
- Die Mädchenturnriege unter Leitung der Arztfrau Evers gibt auf dem Propel eine Schauvorführung.
 
- In Mihla gibt es nach Feststellung des Arbeitsamtes 98 Vollerwerbslose und 120 Zuschlagsempfänger.
 
- Die Firma von Samuel Nowatzky beginnt mit dem Abputzen des Rathauses.
 
- Das Kinderbad im "Nassen Sack" soll wieder eröffnet werden. Das beschließt der Gemeinderat auf Antrag der SPD. Allerdings verhindern fehlende Geldmittel die Umsetzung.
 
- Dieseit Jahren schlechte Straßenbeleuchtung in Mihla wird nun schrittweise erneuert.
 
- Baubeginn für die Verlegung eines neuen Erdkabels einer Fernsprechleitung.
 
- Der Drogist Willi Thomas stellt an die Gemeinde den Antrag auf Neubau eines gemischten Geschäfts- und Wohnhauses am Honiggraben. Dort soll auch eine Drogerie eingerichtet werden. Die Gemeinde stimmt den Antrag zu.
 
November/Januar
 
- Zum zweiten Mal muß in diesem Jahr der Reichstag gewählt werden. Ergebnisse in Mihla:
 
- NSDAP: ------ 31 Stimmen
- DNVP: ------- 37 Stimmen
- Landbund: -- 263 Stimmen
- DVP: -------- 90 Stimmen
- Mittelstand: - 9 Stimmen
- Zentrum: ----- 1 Stimme
- DDP: -------- 60 Stimmen
- SPD: ------- 522 Stimmen
- KPD: -------- 15 Stimmen
 
- Anfang Dezember gedenken die Mihlaer dem 100sten Todestag des Lieddichters Franz Schubert. Lehrer Jaschke hält mit dem Schulchor einen vielbeachteten Vortrag. Gespielt werden mit Kindern und einigen Erwachsenen zwei Einakter. Der "Auesaal" ist gut besetzt.