Eine Fahrt durchs Werratal anno 1930 

Im Oktober 1907 wurde die Eisenbahnlinie Eisenach, Creuzburg, Mihla, Ebenshausen/Frankenroda, Falken bis Treffurt eröffnet und dem Verkehr übergeben. Die Verantwortlichen im Werratal erhofften sich damals einen wirtschaftlichen Fortschritt mit dem Bahnanschluss an die „großen“ Linien in Eisenach und Eschwege. Daher wurde die Eröffnung ganz ausgiebig im Creuzburger Rathaus am Markt (1945 zerstört) gemeinsam mit dem Festausschuss gefeiert. 

Eingeladen hatte der Creuzburger Bürgermeisters Zimmer. Teilnehmer waren außer Bürgermeister Zimmer die Bürgermeister Bernhard aus Treffurt, Fischer aus Ifta, Karl aus Schnellmannshausen, Karl aus Volteroda, Altenbrunn aus Wartha und Baumbach aus Mihla. Bezeichnend ist die Teilnahme von Bürgermeistern aus Orten, die nicht direkt an der neuen Strecke lagen, die sich aber aus der Eröffnung auch für ihre Orte positive Impulse erhofften. 

Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung kam nicht wie erwartet. Aber die neue Bahnlinie hatte großen Anteil am Einzug der Moderne in die Orte an der Strecke. Auch das Sodawerk in Buchenau wäre ohne die Bahnlinie nie entstanden. 

Für viele Jahre verband die Eisenbahnlinie mit ihren in etwa gleich aussehenden Bahnhofsgebäuden die Region, so auch die Orte des späteren Amtes Creuzburg. 

Folgen Sie uns nun einer Erinnerung an diese Eisenbahnzeit mit einer fiktiven Fahrt von Eisenach nach Treffurt, so vielleicht geschehen im Jahre 1930. 

(Teile des Textes sowie die Bilder entnommen aus „Als das Dampfross ins Werratal kam - Zur Geschichte der Werrataleisenbahn“, Verlag Rockstuhl 1907, Rainer Lämmerhirt) 

Bahnhof Eisenach 

Tempo, Tempo, schnell die letzten Stufen hinauf! Da steht der Zug noch auf Bahnsteig drei, ich habe es geschafft! 

Der Bahnbeamte streift mich mit einem strengen Blick. Die große Bahnsteiguhr zeigt 13.40 Uhr. Nur noch zwei Minuten bis zur Abfahrt des Personenzuges 2020 von Eisenach bis Treffurt. 

Über die offene Plattform klettere ich in den grünen Personenwagen 2. Klasse. Der Zug ist nur wenig mit Reisenden gefüllt, ich bekomme noch einen Fensterplatz. Geschafft! Schnell noch einen Blick aus dem Fenster. Vier Personenwagen und ein Gepäckwagen hängen an der Lokomotive. Diese gehört zur Baureihe 74 und macht schon mächtig Dampf auf. Aber sie ist rückwärts an den Zug gekoppelt! Na, man wird ja sehen. 

Noch ganz außer Atem lasse ich mich wieder auf den Sitz zurückfallen. Ein rascher Blick zu den anderen Reisenden. Mehrere geschäftig aussehende Männer kehren wohl von amtlichen Besuchen aus der Kreisstadt zurück, einige Marktfrauen schwatzen munter über ihre Verkaufsergebnisse, zwei, drei als Bauern zu erkennende Männer verhalten sich ganz still. Im letzten Abteil sitzen mehrere junge Leute, wohl Sommerfrischler, die nach ihrer Kleidung zu urteilen auf dem Weg zu einem Ausflug sind. Normaler Betrieb! 

Da ertönt die Trillerpfeife. Es ist 13.42 Uhr, der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Die Lok schnauft ganz gewaltig und schwarze Rauchschwaden ziehen am Fenster vorbei. Schwer klingen die Stöße der Treibstangen, dann wird die Fahrt schneller. 

Rasch ist der Eisenacher Bahnhof verlassen. Hoch auf dem künstlichen Bahndamm geht es über der Stadt entlang der Rennbahn in Richtung Westen. Schnell ein Blick zur Wartburg, sie grüßt auf uns herab. Schon nach wenigen Minuten verlangsamt der Zug die Fahrt: Eisenach-West. Nur ein kurzer Stopp. Kaum jemand steigt zu. 

Es geht weiter. Die Strecke gabelt sich und wir fahren entlang der Hörsel in Richtung Hörschel und Wartha. 13.53 Uhr, ein erneuter kurzer Halt in Hörschel. Als es weitergeht, überfahren wir die Hörsel. Vorsichtig fährt der Zug über die große Werrabrücke, überquert den Fluss und nähert sich schon dem neuen Bahnhof Wartha. Ein stattliches Gebäude, 1907 extra für den Abzweig der Werratalbahn neu errichtet. 


Bahnhofsgebäude in Wartha, Postkarte aus den 20er Jahren. 

Ein Ruck. Der Zug steht. Die Bauern verlassen ihn. Nun kommt Unruhe auf. Eine Gruppe Schulkinder besteigt die Waggons, lässt sich aber in den Wagen der 3. Klasse nieder. 

Warum geht es nicht weiter? Da kommt die Aufklärung. Auf dem Überholgleis fährt unsere Lok vorbei. Wartha ist für die Werratalbahn als Kopfbahnhof angelegt. Die Lok muss in die Richtung zurückfahren, aus der wir gerade gekommen sind. Dann fährt sie natürlich nicht mehr rückwärts! Aha, deshalb dauert der Aufenthalt hier auch länger. Laut meinem Taschenfahrplan geht es um 14.03 Uhr weiter. Das stimmt. Ein kurzer Ruck und wieder ziehen dichte Rauchwolken am Abteil vorbei. Wir holpern über eine Weiche. Die Strecke nach Treffurt trennt sich hier von ihrem „großen Bruder“, der Strecke nach Herleshausen und weiter nach Gerstungen. Wir bleiben links der Werra und beginnen nun unsere Fahrt entlang durch das herrliche Flusstal. Noch ein kurzer Blick zurück, am Horizont kann man die gewaltigen Ruinen der Brandenburg bei Lauchröden erkennen, dann schiebt sich schon das Massiv des Kielforstes in die Sicht. 


Blick auf Hörschel. In der Mitte des Hintergrundes die große Werraeisenbahnbrücke. Am Waldrand des Zickelberges verläuft der Bahndamm der Werratallinie in Richtung Pferdsdorf. 

Schon halten wir in Pferdsdorf. Der kleine Ort liegt über uns an einem Hang. Rechter Hand bietet sich ein angenehmer Blick ins Werratal. Spichra ist zu erkennen. Wenige Bauernhäuser schmiegen sich um die kleine Kirche. 

Interessant ist das neue Wasserkraftwerk mit der großen Brücke, dahinter erhebt sich der Spatenberg. Dort soll es nicht ganz geheuer sein, Bergwichtel treiben ihr Unwesen, so habe ich es neulich in der „Tagespost“ gelesen. Schnell weiter! 

Der Zug folgt meinem Wunsch und mit mächtigem Gefauche fahren wir nun Creuzburg entgegen. Es geht etwas bergauf und die Fahrt wird langsamer. Links ist das Pferdsdorfer Köpfchen auszumachen. Einige kleinere Brücken werden passiert und dann öffnet sich das Flusstal. Die Creuzburg grüßt schon von weitem herüber. Ein gewaltiger Eindruck! 

In einem großen Bogen fahren wir in Richtung Stadt. Der Bahnhof liegt etwas außerhalb. 14.14 Uhr ist es inzwischen. 


Der Bahnhof Creuzburg. 

Auf dem Bahnsteig ist wenig Betrieb. Die Schulkinder steigen aus, einige andere junge Leute kommen hinzu. Sie wollen in die Flussbadeanstalt nach Mihla, wie gleich zu erfahren ist. 

Im letzten Moment steigen noch einige unschwer als Arbeiter zu erkennende Reisende zu. Sie tragen in ihren Taschen Wärmeflaschen für Kaffee und auch dicke Essenpakete sind zu erkennen. Aha, sicher wollen sie zur Spätschicht in das neue Sodawerk nach Buchenau! Wie gut, dass es die Eisenbahnlinie gibt, denke ich. Dann geht es weiter. Wir sind immer noch links des Flusses. Nun wird das Tal enger. Die Berge rücken näher zusammen und Felsen werden sichtbar. Ein herrlicher Anblick. 

Auf unserer fiktiven Fahrt auf der Werrataleisenbahn hatten wir in unsern letzten Bericht die Strecke von Eisenach bis Creuzburg zurückgelegt. Steigen wir heute wieder in unseren Nostalgie- Zug ein und fahren wir weiter, dem Ziel Treffurt entgegen… 

Wir haben den Bahnhof Creuzburg verlassen. Links von uns grüßt die alte Burg der Ludowinger. Schon bald erreichen wir einen sehr schönen Abschnitt des Werratales. 

Die Nortmannsköpfe und gegenüber die Ebenauer Klippen, so steht es im Prospekt des Werratalvereins, den ich mir extra besorgt habe. Wie im Hochgebirge. Links unten blinken die Dächer von Ebenau. 


Der Personenzug hat den Bahnhof Creuzburg verlassen und fährt in Richtung Mihla. Über der Stadt grüßt die alte Ludowingerburg. 

Langsam fährt der Zug über die große Eisenbahnbrücke bei Ebenau, ein beeindruckendes Bauwerk. Direkt unterhalb der steilen Felswand geht es weiter. Rechter Hand tauchen Baureste eines alten Bahnsteiges auf. Hier muss früher der Haltepunkt Ebenau gelegen haben, der wegen des neuen Sodawerkes dann nach Buchenau verlegt wurde. 

Schon sind wir in Buchenau. Links von der Bahn drängen sich einige Bauernhöfe um ein größeres Gebäude, das Gutshaus. Dann ist der kleine Ort schon vorüber und wir halten auf freiem Felde. Oder? Nein, rechts aus dem Fenster blickend erkenne ich die Umrisse des neuen Werkes Buchenau. 


Ein Personenzug überfährt die große Werrabrücke bei Ebenau. 

Kalköfen wachsen in die Höhe, der Schornstein einer Heizanlage, Fabrikhallen. Auf dem kleinen Bahnsteig links des Zuges herrscht richtig Betrieb! Es ist Schichtwechsel und während die in Creuzburg zugestiegenen Arbeiter in Richtung Betrieb eilen, steigen einige Dutzend neue Fahrgäste zu. Dank ihrer lauten Unterhaltung ist zu erfahren, wohin sie wollen: Nach Mihla, Frankenroda, einige müssen in Treffurt auf die Mühlhäuser Bahn umsteigen, da sie noch bis Diedorf und Heyerode, in ihre Heimatorte, fahren müssen. Ein langer Weg zum Brotverdienst, aber endlich gibt es den Großbetrieb im Werratal. Lang genug hat es gedauert, beinahe zwanzig Jahre, ehe die Produktion begonnen hat. So in Gedanken versunken habe ich die Abfahrt des Zuges verpasst. Unser Schaffner muss aber die Abfahrtskelle gehoben haben, denn gleich darauf betritt er das Abteil und kontrolliert die Fahrkarten.

Nächste Station ist Mihla, teilt er noch mit. 

Der Zug fährt langsam am Hang entlang. Hier soll der Bahndamm immer wieder ins Rutschen kommen, fährt mir durch den Sinn, deshalb wohl die langsame Fahrt! 

Kaum haben wir den Waldhang rechts verlassen, öffnet sich das Werratal. Wir fahren an einigen Industriebauten vorbei und kommen in einem größeren Bahnhof zum Halten: Mihla, die Hälfte der Strecke ist geschafft. Auf dem Gegengleis steht ein Güterzug. Einige Waggons werden mit Holzstämmen beladen, hier befindet sich eines der großen Sägewerke, die ihren Nachschub aus dem Hainich beziehen. 


Eine BR 74 902 zieht einen Personenzug über die Mihlaer Werrabrücke. 

Es geht weiter. In einem großen Linksbogen fahren wir auf die Werra zu und über eine weitere Brücke wird der Fluss passiert. Aus dem rechten Fenster kann man einen kurzen Blick auf den Ort Mihla erhaschen. Ein langer Fußweg bis zum Bahnhof! 

Gleich nach der Brücke unterqueren wir eine Straßenbrücke, dann geht es durch Felder weiter. Nun geht es schneller voran. Es wird auch Zeit, der Fahrplan drängt! Die Werra ist jetzt rechts vom Zug. Es geht vorbei an Ebenshausen, weiter bis zur nächsten Werrabrücke, die langsam überfahren wird. Einfahrt in den Bahnhof von Frankenroda mit seinem stattlichen Gebäude. Wieder ein kurzer Halt und dann beginnt die Fahrt durch die malerische Strecke bis nach Falken. Immer dichter drängen die Felsen an beiden Seiten. Mitten darin liegt Frankenroda, von seiner Lage ein Ort wie geschaffen für Erholungsuchende. Noch romantischer wird es nach Frankenroda, die Falkener Klippen laden regelrecht zu einer Klettertour ein. 

Noch wie weitere Brückenbauwerke werden passiert, dann wird Falken erreicht. Ja, nun ist es beinahe geschafft. Ich schaue auf die Uhr: Es ist kurz vor 14.00 Uhr. Der Zug hat einige Minuten Verspätung, fährt aber nun mit „Höchstgeschwindigkeit“ auf einem kleinen Bahndamm dem Zielbahnhof Treffurt entgegen. Da grüßt schon der Normannstein vom Berg herab. Der Treffurter Bahnhof verfügt über eine große Gleisanlage. Linker Hand sehe ich den Lokschuppen, sieben Stände sind zu erkennen und eine Drehscheibe, auf der eine Dampflok steht und mächtig Qualm entwickelt. Dann ist das Bahnhofsgebäude erreicht. Der Zug hält. Ich steige aus. Eigentlich eine sehr interessante und vor allem landschaftliche schöne Fahrt durch das Werratal! 

In einer der nächsten Ausgaben noch Bilder der Strecke zwischen Frankenroda und Treffurt.